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Herausforderung Europa

17.06.2011

Die deutsche und europäische Linke muss sich dem Anspruch stellen, aktiv gestaltend für eine Änderung der derzeitigen Europapolitiken einzugreifen - Ein Artikel von Helmut Scholz.

Schon zwei Jahre sind seit den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament vergangen. Zwei Jahre intensiver Arbeit, politischer Auseinandersetzungen, aber auch andauernder Lernprozesse.

Fällt das Wort „EU“, wird sofort an Krise, Bürokratie und scheinbar unnötige Regulierungen gedacht. Verbunden ist dies mit Unbehagen sowie Unsicherheit über EU -Politik. Zugleich aber höre ich bei meinen Besuchen im Wahlkreis – insbesondere wenn ich mit jungen Menschen über Europa spreche - Neugier, Interesse am Hinterfragen von politischen Zusammenhängen und viel EU-Selbstverständlichkeit. Wir sind halt in Europa... Reisefreiheit, internationale Austauschprogramme, die vielen durch EU-Fördermittel finanzierten Projekte und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass man in vielen Ländern einfach und bequem mit dem Euro bezahlen kann sind Alltagsfakten, kein europäischer Aufreger mehr. Dies zusammen ist somit - gerade für die politischen Akteure - ein herausforderndes Spannungsfeld: Auf der einen Seite das positiv empfundene und erlebte Europa, auf der anderen Seite das überaus kritisch bewertete politische Europa mit komplexen Fragestellungen an wirtschafts- und währungspolitische Zusammenhänge und Hintergründe, an das Zusammenleben von 27 souveränen Staaten in einem gemeinsamen Staatenverbund. Bei diesen Fragen setzt meine Arbeit an.

Siebzig Prozent der nationalen Gesetzgebung(en) haben bereits ihren Ausgangspunkt in Entscheidungen durch die EU-Institutionen. Europapolitik ist also in seiner Bedeutung kaum hoch genug zu gewichten. Die Komplexität von Entscheidungen auf EU-Ebene, von nationaler und regionaler Politik (in Deutschland auf Bundes- und Länderebenen) ist keine Europapolitik an sich, so wie dies traditionell mit dem Blick auf Außen- und Innenpolitik, Sozial- und Gesundheitspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Innenpolitik oder Energiepolitik als eigenständige, abgegrenzte Politikfelder gesehen wird. Mit dem nun über 50 Jahre währenden Integrationsprozess hat heute jedes Politikfeld seine europapolitische Dimension. Genauso, wie fast jede Entscheidung auf europäischer Ebene auch ihre regionale Dimension hat. In der LINKEN berücksichtigen wir meines Erachtens diese Zusammenhänge bisher zu wenig. Das ist dringend zu verändern, denn andernfalls laufen wir Gefahr, an den tatsächlichen politischen Prozessen vorbei zu agieren. Damit sind zwei Baustellen - an denen ich in der linken Fraktion (GUE/NGL) im Europaparlament arbeite - benannt. Es gilt, am Verändern des politischen Europas in Richtung des von uns gewollten sozialen, demokratischen, ökologisch nachhaltig wirtschaftenden und des friedlichen Europas tatkräftig mit zu tun. Und das erfordert, dass in der Partei die Bedeutung von Europapolitik stärker bewusst werden muss.

Ansatzpunkte dafür gibt es genug: Unsere Kritik am Vertrag von Lissabon bleibt bestehen; trotz der großen Ankündigungen ist die EU eineinhalb Jahre nach dessen Inkrafttreten in den entscheidenden Bereichen der Wirtschafts- und Währungsunion und der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" nicht bürgernäher, nicht transparenter und nicht sozialer geworden. Im Gegenteil: Wir haben es mit einer Krise zu tun, die durch neoliberale Politik verursacht wurde und deren Überwindung am Festhalten neoliberaler Rezepte scheitert. In Griechenland, Irland und Portugal sorgen die von den Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten aufgezwungenen Kürzungsmaßnahmen für eine Arbeitslosigkeit von über 17%, für steigende Armut und unzählige Unternehmenspleiten. Aber vor allem erleben wir, wie im Zuge der Gewährung von Not-Krediten eine völlige Entdemokratisierung von Entscheidungsprozessen stattfindet und die Deutsche Bank durch hohe Zinsen daran noch verdient.

Die Hoffnung vieler Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedsstaaten, dass mit dem Beitritt zur EU ein Freiheits- und ein Wohlstandsgewinn einhergeht, bewahrheitet sich für immer mehr Menschen nicht. Die grassierende Jugendarbeitslosigkeit ist nur ein Beispiel dafür. In den Niederlanden, Dänemark, Ungarn, Italien, Frankreich und auch Finnland erstarken nationalistische, rechtspopulistische und auch rechtsradikale Kräfte. Und dies beschränkt sich nicht auf die konkreten politischen Akteure, sondern reicht auch weit bis in die sogenannte vierte Macht in der modernen Mediengesellschaft hinein: bis zur Rolle der Medien. Diese und viele andere Themen bewegen mich sehr und sind Grund genug, über Zusammenhänge unserer Lebensweise hier, der Entwicklung der Produktivkräfte und der realen Lebenssituation in anderen Teilen unserer Erde um neue politische Ansätze zu ringen. .

Als LINKE müssen wir den Anspruch haben, aktiv gestaltend einzugreifen wo immer wir es können, zu protestieren, wenn soziale Errungenschaften, demokratische Rechte oder der Frieden in Gefahr sind. Aber vor allem sind wir gefordert, auch konkrete Alternativen, politische Projekte und viele zu erreichende Visionen für die Zukunft zu entwickeln. Ich meine: Die bloße Ablehnung und Kritik an Politiken, die wir nicht akzeptieren können und wollen, reicht nicht mehr. Es lohnt sich dafür zu arbeiten, denn auch bei den völlig ungünstigen Mehrheitsverhältnissen für Linke im Europaparlament sind Gegensteuerungen möglich, vor allem, wenn es ein Zusammenwirken von parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräften gibt. In den letzten zwei Jahren ist es so gelungen, erfolgreich Kriterien für die weitere Ausgestaltung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen als Position der der einzigen direkt gewählten EU-Institution zu beschließen. In der aktuellen Auseinandersetzung um die künftige Ausgestaltung der Struktur- und Fördermittelpolitik (2014 - 2020) ist es - bisher -gelungen, den ostdeutschen Bundesländern weiterhin Platz und Raum zu erhalten, es konnten mehrere tausend Arbeitsplätze in der Solarbranche erhalten und in harten Verhandlungen dafür gesorgt werden, dass z.B. auch das ein Schritt hin zur realen Teilhabemöglichkeit von Menschen an EU-Entscheidungen darstellende neue Instrument der Europäischen Bürgerinitiative ermöglicht und leichter durchführbar, transparenter und mit einer Anhörung der Kommission verbunden sein muss.

Ich sage deshalb mit Blick auf die Perspektive der weiteren Entwicklung der EU, die - wie wir an der Diskussion um die Griechenland-Hilfe erleben - gar nicht gesichert ist, sondern der "Einmischung" der Bürgerinnen bedarf, ganz entschieden: Wir brauchen eine informierte, interessierte und kritische Öffentlichkeit. Wir brauchen weiterhin das enge, kritisch-konstruktive Zusammenwirken mit außerparlamentarischen Bewegungen, um als LINKE in und außerhalb der Parlamente für unsere Positionen zu werben und gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen. Ein anderes Europa ist möglich!

Euer Helmut Scholz

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