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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 53, 8. April 2022
Liebe Leserinnen, liebe Leser,

am Sonntagabend werde ich, wie Sie vermutlich auch, gebannt nach Paris blicken. Leider werden die linken Parteien  wegen ihrer Zersplitterung keine entscheidende Rolle bei der französischen Präsidentschaftswahl spielen, deren erste Runde am Wochenende stattfindet. Es scheint sich nun am Ende des Wahlkampfes doch die schon vorher von vielen befürchtete und prophezeite Konstellation abzuzeichnen, dass sich Amtsinhaber Emmanuel Macron mit der rechtsradikalen Herausforderin Marine Le Pen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern wird. So heftige Kritik ich an der Politik Macrons habe - ein Erfolg Le Pens wäre ein alarmierendes Signal für ganz Europa. Und stellt viele französische Bürger*innen dann 14 Tage später in der zweiten Runde vor eine schwierige Gewissensentscheidung - angesichts der vielen schuldig gebliebenen Versprechungen in Bezug auf eine grundlegende Erneuerung französischer Politik für die Menschen des Landes seitens Macrons in den letzten 5 Jahren.  Ich bin überzeugt, dass die französischen Wähler*innen die richtige Entscheidung treffen werden. Diese Stichwahl würde am Sonntag nach Ostern stattfinden.

Apropos Ostern. Sicher werden viele von Ihnen gemeinsam mit der Familie, mit Freund*innen und Bekannten das Osterfest feiern. Vielleicht gehen Sie auch zu einem der sicher nun wieder zahlreichen Osterfeuer oder anderen Festen in den Städten und Gemeinden; die Entspannung in der Corona-Lage – wenngleich es keine Entwarnung gibt! – macht es möglich. Ich gönne Ihnen diese Treffen nach der langen Zeit der großen Einschränkungen sehr.

Ich bin zugleich sehr sicher, dass Sie sich auf die eine oder andere Weise an den diesjährigen Friedensaktionen zu Ostern (es gibt inzwischen ja viel mehr Aktionsformen als nur die "klassischen" Ostermärsche) beteiligen. Sei es nun, dass Sie Transparente an Ihren Häusern aufhängen, sei es, dass Sie direkt an einem der vielen Märsche oder an einer Veranstaltung teilnehmen, sei es, dass Sie mit anderen Mitteln die vielfältigen Aktionen unterstützen oder einfach nur mitdiskutieren. Denn eines ist klar: Angesichts des Krieges in der Ukraine und den schrecklichen mutmaßlichen Massakern ist ein machtvoller Ruf nach Frieden in diesem Jahr wichtiger denn je. Eine Übersicht über die verschiedenen Friedensaktivitäten finden Sie übrigens hier: www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2022

Sicherlich geht in diesem Jahr der Ruf ganz laut in Richtung Kreml, aber es ist keineswegs allein so, dass sich dieser Ruf nur an Moskau richtet. Mit den Beschlüssen der Ampel-Regierung zu einem so noch nie dagewesenen Aufrüstungsschub werden die Weichen in die falsche Richtung gestellt. Hochrüstung, ein Weiterdrehen der Rüstungsspirale, die Beschaffung von Flugzeugen zur sogenannten nuklearen Teilhabe: das sind Schritte, die das blutige Kriegsgeschehen dieser Tage in der Ukraine nicht beenden, v.a. aber auch perspektivisch nicht mehr Sicherheit schaffen. Denn dauerhafte Sicherheit und Frieden lassen sich nicht mit Waffen schaffen. So schwer das angesichts der Bilder aus Kiew, Mariupol oder Donezk auch zu fassen sein mag: weitere Aufrüstung, gegenseitige – und die Zahlen von US-, NATO-, russischer und chinesischer Militärkontingente und -strukturen beweisen dies – schaffen hier nicht nachhaltige und umfassende Sicherheit, aber können im Gegensatz in eine globale Katastrophe führen. Ich möchte mich hier nicht wiederholen, aber Sie kennen meine Meinung: Frieden, Sicherheit, Abrüstung sind nicht gegeneinander, nur miteinander zu erreichen. Das erfordert eine politische Neuausrichtung nationaler wie europäischer wie globaler Sicherheitsarchitektur und ihrer Bausteine. Was ist hier und jetzt notwendig, um gegenseitig die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit zu erreichen, in den sicherheitspolitischen Strategien und den konkreten Militärprogrammen wie -strukturen. Das geht nur, wenn miteinander gesprochen wird, so schwierig und fast unmöglich das erscheinen mag. Aber wir brauchen den Mut und das Vermögen, diesen Schritt endlich zu gehen. Es gibt keine sinnvolle und vor allem friedliche Alternative zum Dialog, zu Verhandlungen, die auch andere Entwicklungsmodelle und politische Kulturen zu akzeptieren bereit sind. Und vor allem ist dabei für mich wichtig, dass wir endlich Sicherheit vor allem nicht nur militärisch definieren. Die Aggression Putin’s Russland gegen die Ukraine leistet hier nicht nur einen schlechten Dienst, sondern verkompliziert dieses so notwendige Umdenken. Klimawandel, das Auftauen der Permafrostböden im Hohen Norden und auch in der russischen Tundra, das Ringen um Artenvielfalt, die Überwindung von Hunger und das Gewährleisten von Ernährungssicherheit erfordern allen Einsatz; wir können es uns schlicht nicht mehr leisten in national-egoistischen und imperialistischen Kategorien zu agieren. Nein, wir sind zu friedlicher Koexistenz verdammt, um die riesigen Aufgaben spät, aber hoffentlich nicht zu spät noch zu meistern.

In dieser Woche hat das Europäische Parlament mit der Debatte zum EU-China-Gipfel vom vergangenen Freitag in dieser Hinsicht leider kein gutes Beispiel gegeben. Der chinesische Präsident Xi Jiping hatte gemahnt - wohl im Wissen um die systemische Rivalität von wirtschaftlichen Wettbewerbern, wie die EU-2019 das Verhältnis zu China kennzeichnete - nicht in altes Blockdenken zurückzufallen. Aber genau dies ist in fast allen Redebeiträgen zum Ausdruck gekommen, nicht zuletzt mit der Kritik an Chinas nicht eindeutiger Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine. Leider war das auch der Tenor in den meisten Medien. Ja, es gibt sehr unterschiedliche Wahrnehmungen gesellschaftlicher Werte, von politischen und sozialen Menschenrechten und der Berücksichtigung historischer Entwicklungen, aber diese auch widersprüchlichen Positionen erfordern die Bereitschaft zum Dialog, zur gemeinsamen Verständigung über deren Wechselwirkungen v.a. auch in einer global aufgestellten Informationsgesellschaft jenseits nationaler Grenzen, mit dem Ziel, die weiteren Perspektiven einer  politischen, wirtschaftlichen und kulturellen wie gesellschaftlichen Zusammenarbeit zu bestimmen. Dazu braucht es einen kühlen Kopf und Entspannung im Verhältnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Volksrepublik China, um die wirtschaftlichen Konsequenzen aus unseren absolut notwendigen Reaktionen auf die Aggression der Regierung Putin gegenüber der Ukraine zu meistern. Dass es auf dem Gipfel eine Einigung auf die Wiederaufnahme des formellen Menschenrechtsdialogs und die Zusage der EU gab, China mit der Lieferung von mRNA-Impfstoff zu unterstützen, sind für mich wichtige und gute Ansätze, die in der Berichterstattung kaum Erwähnung gefunden haben.

 

Ihr

Helmut Scholz

11. - 14. April: Delegation des Handelsausschusses reist nach Indien

Indien ist inzwischen fast so bevölkerungsreich wie China und weltweit steigt das Interesse an diesem riesigen Absatzmarkt. Während der vergangenen Jahrzehnte weigerte sich das Land jedoch erfolgreich, umfassende Freihandelsabkommen abzuschließen. So konnte es eine eigenständige Pharmaindustrie aufbauen, die vor allem Generika herstellt. In den klassischen Freihandelsabkommen der EU und der USA setzen deren Unterhändler*innen im Interesse der westlichen Pharmaindustrie nämlich stets verlängerte Patentschutzzeiten von 12 - 15 Jahren durch. In dieser Zeit können sie die von ihnen entwickelten Medikamente mit hohem Profit verkaufen. Nach Ablauf der Frist ist dann die Herstellung von Generika-Medikamenten erlaubt, die Patient*innen zu einem erheblich geringeren Preis zur Verfügung gestellt werden könnten. Da in Indien diese Schutzfrist um einige Jahre kürzer ausfällt, konnte das Land sich zur „Apotheke der Welt“ aufschwingen. Das freut nicht nur unsere Krankenkassen, sondern ist gerade für die ärmere Mehrheit der Weltbevölkerung überlebenswichtig geworden. Auch in meinem Büro in Brüssel werden jedoch gelegentlich Vertreter*innen der sich selbst so bezeichnenden „forschenden Pharmaindustrie“ vorstellig, die darauf drängen, die indische Konkurrenz durch die Regelungen eines Handelsabkommens im Markt zu schwächen.

In Indien hatte sich immer wieder sehr starker zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen Handelsabkommen und gegen das Agieren bestimmter Weltkonzerne wie Coca-Cola organisiert. Der Widerstand der Bäuer*innen und unter den Fabrikarbeiter*innen war so groß, dass sich lange keine Regierung an den Abschluss von Handels- oder Investitionsabkommen wagte.

Zwar hatte Indien vor zehn Jahren die Verhandlungen über das regionale Handelsabkommen RCEP mit China, Japan, Korea, Australien Neuseeland und den südostasiatischen ASEAN Staaten mit initialisiert, war jedoch zuletzt ausgestiegen vor dem Hintergrund seiner politischen Spannungen mit dem alten Rivalen China.

Nun scheint sich jedoch etwas zu ändern. Bestärkt durch seinen Wahlsieg testet Premierminister Narendra Modi aus, wie weit er bei Handelsabkommen gehen könnte, die den westlichen Partnern einerseits attraktiv genug erscheinen, andererseits in seinem eigenen religiös-nationalistischen Umfeld und der breiten Bevölkerung noch durchsetzbar wären.

Die Europäische Union hatte zuletzt aus einer Haltung gewisser Arroganz noch abgelehnt und auch uns im Europaparlament erläutert, man betone das Wort „umfassend“ in den Handelsabkommen der Union ja nicht umsonst und wäre an kleineren Angeboten nicht interessiert, die nicht wirklich den Markt des Partners weit öffnen.

Zwei Entwicklungen machen der EU nun Beine. Zum einen preschen andere Länder voran. Australien hat einen Deal mit Indien zum Abschluss gebracht, zuvor auch die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch Großbritannien agierte weniger zimperlich. Nach dem Brexit will die politische Führung des Landes so schnell wie möglich so viele Abkommen wie möglich abschließen, und besonders gern möchte man das „in alter Verbundenheit“ mit Indien tun. Die Verhandlungen gelten als fortgeschritten.

Zum anderen erwächst aus den Folgen der russischen Invasion in die Ukraine für die Europäische Union eine Art Diversifizierungsnotstand. Hatte Frankreich zu Beginn seiner EU- Ratspräsidentschaft noch klar mitgeteilt, dass man aktuell keine der ausstehenden Freihandelsabkommen unterzeichnet sehen wolle, so werden inzwischen Generaldirektion Handel der EU-Kommission Fragen gestellt, warum sie keine neuen Freihandelsabkommen liefert. Dieses Jahr könnte daher den Abschluss der fast fertig verhandelten Abkommen der EU mit Chile, Australien, Neuseeland und Mexiko sehen. Die wegen des Themas Palmöl bislang zäh verlaufenden Verhandlungen mit Indonesien könnten nun beschleunigt werden, da Umweltaspekte in Brüssel in den Hintergrund gedrängt werden und Indonesien seine G20 Präsidentschaft gern mit einem Handelscoup bekränzen würde. Das Abkommen mit dem Mercosur wird hingegen wohl erst wieder aktuell werden, wenn in Brasilien Lula 2023 zum Präsident gewählt wurde und Gesetzgebung zum Schutz der Regenwälder durchsetzt.

Indiens Außenminister Subrahmanyam wurde in der ersten Aprilwoche in Brüssel erwartet, auch um die Eckdaten für die Aufnahme von Verhandlungen über das EU-Indien Freihandelsabkommen zu besprechen. Am 1. April hatte er in Neu-Delhi Russlands Außenminister Lavrov empfangen. Auch daraus dürfte sich ein Teil der Gesprächsagenda ableiten.

Vor diesem komplexen Hintergrund macht sich am Abend des 10. April die Delegation des Handelsausschusses des Europaparlaments auf den Weg in die Hitze der indischen Hauptstadt, wo die Temperatur in dieser Zeit des Jahres von nachts 26 Grad auf tagsüber 42 Grad Celsius ansteigt. So, wie die Delegation zusammengesetzt ist, wird sie sich sicherlich für ein umfassendes Freihandelsabkommen der EU mit Indien einsetzen. Federführend sind bei diesem Partnerland die Europaabgeordneten Geert Bourgeois von den flämischen Nationalisten (NVA) und Jan Zahradil von tschechischen Demokratischen Bürgerpartei unterwegs, beide aus der rechts-konservativen EKR Fraktion. Vielleicht wittern sie Nähe zur politischen Linie von Premierminister Modi. Jedenfalls setzt sich die EKR auch stark für die neue Idee einer neuen strategischen Allianz der EU mit der indo-pazifischen Region ein, die in Washington und Brüssel als Gegengewicht zu China vorangetrieben wird. Geleitet werden wird die Delegation jedoch wie immer vom Ausschutzvorsitzenden Bernd Lange von der SPD. Leider ging der Platz für die kleineren Fraktionen diesmal nicht an uns Linke. Ich werde daher gespannt sein, was die Delegation nach ihrer Rückkehr am 20. April im Handelsausschuss berichten wird.

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