Gespräche zur EU-Agrarpolitik

Helmut Scholz zu Gast in der Agrargenossenschaft Kahren-Brahnitz (Cottbus)

26.10.2018
Felix Thier
Helmut Scholz (Bildmitte, sitzend vor der weißen Tafel) während seiner Ausführungen.

Die Europäische Union und die Landwirtschaft – das gehört schon irgendwie zusammen. Allein schon mit Blick auf die von der EU gezahlten Agrarsubventionen. So machte es also durchaus Sinn, dass Helmut Scholz die Agrargenossenschaft (AG) Kahren-Brahnitz in Cottbus besuchte und dort über zwei Stunden im intensiven Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern der Landwirtschaft stand. Mit am Tisch waren private Bäuerinnen und Bauern, Agrardienstleisterfirmen, der Kreisbauernverband Spree-Neiße, der Landesbauernverband sowie Mitglieder der LINKEN aus Kommunal- und Landespolitik.

Helmut Scholz (Bildmitte, sitzend vor der weißen Tafel) während seiner Ausführungen.

Die AG bewirtschaftet in der Region 1.500 Hektar Land und nennt 500 Rinder ihr Eigentum. Hauptsächlich angebaut werden Raps und Getreide. Das wiederum lässt schon erkennen, warum der Dürresommer 2018 die AG vor ernste Probleme stellt: Die Erträge sind in den Keller gesunken, die durch die Milchkrise leeren Kassen noch nicht aufgefüllt. Und dann zeichnet sich ab, dass die Gelder der von der EU verantworteten Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zukünftig weniger werden – mit dem BREXIT scheidet Großbritannien als ein großer Nettozahler aus dem EU-Haushalt aus. Die verbleibenden Gelder müssen also gezielter verteilt werden. Doch wird die EU-Kommission mit der neuen GAP nicht nur weniger zahlen, sondern wohl auch mehr (an Nachweislegungen) fordern.

An dieser Stelle erwähnte Helmut Scholz die, zum Glück vom gesamten Europäischen Parlament geschlossen vertretene Forderung, dass jeder EU-Mitgliedsstaat 1,3 Prozent seines Bruttonationalproduktes in den EU-Haushalt geben soll. Aktuell ist beispielsweise Deutschland hier aber nur bei knapp über einem Prozent dabei. Das macht es also nicht leichter, wenn durch den BREXIT schon weniger im Finanztopf ist. Und wenn dann in der EU die Priorität beim Geldausgeben bedauerlicherweise auch noch eher in Sicherheit und Abschottung in Reaktion auf die Flüchtlingsbewegung fließen soll, wird das finanzielle Dilemma noch deutlicher.

Wäre es an dieser Stelle nicht klüger, die Agrarpolitik so zu gestalten, dass die EU-Agrarsubventionen nicht die Märkte im Süden kaputt machen würden, so Helmut Scholz fragend. Denn wenn die Menschen in der Landwirtschaft, und das ist ja in der Regel ihre einzige Chance auf ein Einkommen, nicht mehr ihren Lebensunterhalt verdienen können, und am Ende auch noch kriegerische Auseinandersetzungen - auch Dank westlicher Waffen- und Rüstungsexporte! - in ihrer Heimat toben, müssen sie flüchten. Hier krankt die EU-Agrarpolitik.

Und auch durch den nun zwischen der EU und Japan verhandelten Freihandelsvertrag JEFTA werden die Folgen schlimm sein. Denn der EU-Agrarmarkt ist auf Masse und Export fokussiert, es gibt kaum regionale Kreisläufe – und damit überschwämme man neben Afrika nun auch Japan, so Scholz. Ähnliches werde auch durch die anstehenden Verträge mit Lateinamerika zu erwarten sein, befürchtet er.

Die anwesenden Landwirtinnen und Landwirte verstehen dies, stecken ihrerseits aber auch in Dilemmata: Erzeugung für regionale Märkte bedeutet geringe Produktion/ Güteranzahl. Die großen Einzelhandelsketten wollen aber viel Masse, weil das den Preis mitgestaltet – und nach unten drückt. Denn schließlich wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher doch möglichst billig einkaufen, oder? Und die großen Einzelhandelsketten bestimmen leider den Markt – regionale Kreisläufe funktionieren nur, wenn die Konkurrenz und die großen Akteure in ihrem Handeln beschränkt sind.

Allgemein sei die Marktsituation für die und das Ansehen der Landwirtschaft eher schlecht, so die Wortbeiträge in der Diskussion. Die Wertschätzung fehle, der Ruf sei schlecht, der Betriebsnachwuchs bleibe aus. Vorwürfe der Überdüngung, zum übermäßigen Einsatz von Unkrautvernichtern oder Massentierhaltung wären aber zu pauschale Urteile. Wahr sei vielmehr auch, dass der deutsche Verbraucher eben Tierwohlprodukte auch nur so lange kaufe, wie er das auch bezahlen will – oder kann. Und auch die vielgepriesenen und zahlreich vorhandenen Bio-Label seien in den seltensten Fällen nach deutschen Standards kontrolliert, da dies in der EU jedes Mitgliedsland dürfe. Kritisch sehen die Landwirtschaftler auch, dass sie gar nicht mehr für den regionalen Markt da seien, sondern vielmehr zum politischen Spielball globaler Märkte geworden sind. Eine Selbstverpflichtung des Handels, einen gewissen Anteil im Sortiment für Regionalprodukte zu reservieren, wäre hilfreich.

Helmut Scholz gebührte das Schlusswort. Die Politik, an dieser Stelle das Europäische Parlament, habe die Normen gesetzt. Leider fehle auf nationaler Ebene dann aber das Personal zur Kontrolle der Einhaltung der Normen. Der Staat sei an dieser Stelle in der Verantwortung und müsse hier auskömmlich planen und das auch finanziell absichern. Aufgaben der Daseinsvorsorge sollten nicht dem freien Markt überlassen werden. Das von der EU formulierte Politikziel „Erhalt ländlicher Räume“ müsse auch ländliche Produktionen als Ziel haben. Das bedeute schlussendlich auch den Schutz vor Globalplayern bzw. Spekulanten durch von der Politik erlassene Gesetze, so Helmut Scholz abschließend.

Ein radikal freier Markt ist eben nicht das Nonplusultra ...