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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 105, 16. Juni 2023
Liebe Leser*innen,

diese zu Ende gehende Tagungswoche des Europäischen Parlaments in Strasbourg hatte es wieder in sich: kontroverse Debatten im Plenarsaal, intensive Verhandlungen zu ausstehenden Gesetzgebungsakten und wichtige Abstimmungen– mit durchaus „durchwachsenen“ Ergebnissen, wie man so sagt.  

Nehmen wir den Bericht über die künftige Umsetzung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI). Wie bereits im Newsletter der vergangenen Woche informiert, wurde die EBI als Instrument im Europäischen Recht verankert, um Bürger*innen mehr Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung der Europäischen Union zu geben. Mit der Bürgerinitiative haben sie eine Möglichkeit bekommen, selbst Themen auf die „europäische Agenda“ zu setzen. Wie jedoch eine von meinem Büro vergangenes Jahr in Auftrag gegebene Studie feststellt, ist die Anzahl erfolgreicher EBIs und deren Auswirkung auf die Gesetzgebung nach über zehn Jahren äußerst gering. Das hat eine Reihe von Gründen. Zentrale Feststellung der Autor*innen, was auch von vielen anderen engagierten Organisator*innen und Expert*innen bestätigt wird: Ohne einige grundlegende Veränderungen und Weiterungen drohen auch in Zukunft nur sehr wenige Initiativen die eine Million nötigen Unterschriften erreichen können – und das trotz hohen Aufwands der jeweiligen Initiator*innen und großem zivilgesellschaftlichen Rückhalt. Und selbst wenn das Quorum der Unterschriften erreicht wird, besteht auch künftig nur wenig Aussicht auf eine wirkliche Umsetzung der Anliegen: Die EU-Kommission wird leider nicht zwingender verpflichtet, Vorschläge dieses Bürger*innenengagements unmittelbar in den legislativen Prozess einzubringen.

Der nun vom Parlament beschlossene Bericht zur Gesetzesnovellierung enthält einige neue begrüßenswerte und auch von uns unterstützte Anpassungen zur Verbesserung der EBI, verschenkt aber leider viel Potenzial für eine weitreichende gründliche Reform. Als einzige Fraktion hat sich THE LEFT mit den erreichten Kompromissen nicht zufriedengeben wollen und nochmals fünf weitere Änderungsanträge im Plenum eingereicht. Unser Anliegen: die Sammlung der Unterschriften zu vereinfachen, mehr Transparenz für die Initiator*innen zu schaffen und eine angemessenere Reaktion auf erfolgreiche Initiativen festzuschreiben. Wir haben natürlich dem Bericht schlussendlich zugestimmt, sind mit dem jetzigen Zustand der Bürger*innenbeteiligung auf EU-Ebene aber noch lange nicht zufrieden. Der Kampf für eine echte Beteiligung der Bürger*innen, die auch zu ganz praktischen Änderungen der Politik führt, muss weitergehen. Das bezieht sich nicht nur auf die EBIs, sondern ebenso auf die Umsetzung der Ergebnisse der großen EU-Zukunftskonferenz, über die ich hier an dieser Stelle häufig berichtet habe – und dies auch weiter tun werde. Nur so viel zum „Zwischenstand“: Die Ko-Berichterstatter*innen für dieses Thema im AFCO-Ausschuss, zu denen auch ich gehöre, verhandeln konkrete Vorschläge für den Umsetzungsprozess, also die mit konkreten Textvorschlägen verbundene Aufforderung an den Rat, einen Konvent nach Artikel 48 EUV zur weiteren Arbeit an der Umsetzung der Zukunftskonferenz einzuberufen. Wir wollen noch vor der Sommerpause ein entsprechendes Kompromisspapier in einem Gesamtentwurf erreichen und diesen den Fraktionen zur Beratung vorlegen, um zuerst im Ausschuss und dann im Plenum des Parlaments abstimmen zu können.

Wie in jeder Tagung seit dem über ein Jahr andauernden Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine stand diese zentrale außenpolitische Themenstellung auf der Tagesordnung: diesmal Aspekte des Wiederaufbaus in der Ukraine nach dem Krieg und Herausforderungen an die EU im transatlantischen Beziehungsgeflecht. Leider nutzten die Mehrheit der Redner*innen und Autor*innen der jeweiligen Fraktionsresolutionen zu dem Thema die damit gegebene Möglichkeit einer sicherlich schon jetzt notwendigen, tiefgründigen und die perspektivischen Aufgaben aufzeigenden Debatte um die gesamtwirtschaftlichen und politischen Aufgaben nicht. Es verblieb im bekannten schwarz-weiß-Bild und der Aufforderung an die Mitgliedstaaten, den Nato-Beitritt der Ukraine zu befördern. Und damit beherrschte die Logik des Militärischen auch diesen Tagesordnungspunkt. In meiner kritischen Stellungnahme benannte ich die wirkliche Dimension, die vor den Gesellschaften der EU27 und der ukrainischen Gesellschaft steht.  Erfordert doch nach jetzigen Berechnungen (und wieviel mag noch da an konkreten Zahlen und Themen auf den Tisch kommen angesichts des Andauerns des Krieges, der Zerstörungen von Infrastruktur und vor allem hinsichtlich einer Überwindung der gesellschaftlichen Verwüstungen und individuellen Entwurzlungen...) der Wiederaufbau der Ukraine mehr als das Doppelte der Wirtschaftsleistung des Landes. Und klar benannt werden musste: Der Wiederaufbau der Ukraine muss ein Projekt sein, das den Menschen in der Ukraine Hoffnung gibt. Es ist sicherlich kein gutes Signal, dass der umstrittene Großinvestor BlackRock von der Selenskyj-Regierung zum Träger des ukrainischen Entwicklungsfonds benannt wurde, dass die ukrainische Regierung das bisherige Verbot eines Verkaufs ukrainischen Bodens an ausländische Investoren und Eigentümer aufhob. Nach dem Krieg darf nicht vor dem Ausverkauf sein. Dieser Wiederaufbau braucht Transparenz, Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte, Möglichkeiten der staatsbürgerlichen Teilhabe, kurzum: die Zivilgesellschaft muss am Tisch sitzen, wenn über den Wiederaufbau der Ukraine verhandelt wird. Dieser Aspekt unserer Fraktionsresolution ist auch im Text der vom EU-Parlament angenommenen gemeinsamen Entschließung aufgenommen – ein wichtiges Signal in Richtung ukrainischer Regierung. Aber dass eine Parlamentsmehrheit zugleich im Hinblick auf den NATO-Gipfel im Juli Druck für einen übereilten Beitritt der Ukraine zu der Allianz machte, verbiegt die Debatte und macht das Ganze schwer verdaulich. Denn die Antwort auf den blutigen Angriffskrieg Russlands darf nicht sein, die Welt erneut in Blöcke zu spalten, das Zusammenleben auf dem europäischen Kontinent vor allem militärisch zu definieren. 

Leider wurde auch bei der Eröffnung der Tagung mein Antrag, den Verhandlungsstand des Freihandelsabkommens EU-Mercosur auf die Tagesordnung der Plenartagungswoche zu setzen, abgelehnt. Die Folgen des Abkommens – für den Regenwald, für die Entwicklung Südamerikas, für die Indigenen, für Verbraucher*innen in Europa – müssen öffentlich und transparent diskutiert werden. Eine Debatte im Europäischen Parlament sowie die permanente und umfassende Information der Abgeordneten zum Verhandlungsstand wären wichtige Schritte in diese Richtung, auch wie künftig real das wichtige Beziehungsgeflecht der EU mit dem lateinamerikanischen Staatenblock, noch vor dem Anfang Juli in Brüssel stattfindenden CELAC Gipfel, ausgestaltet werden sollte.

Apropos Handelsabkommen. In der kommenden Woche werde ich mit einer Delegation des Handelsausschusses des Europaparlaments nach Indonesien reisen. Die Bedeutung Südostasiens, der ASEAN-Gruppe und Indonesiens im globalen Handels- und Wirtschaftsgeflecht kann kaum überschätzt werden. Daher stehen bei unserer Reise auch zahlreiche Treffen mit Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt Gewerkschaften auf der Tagesordnung.

Mehr dazu können Sie wie stets unten lesen.

Ihr

Helmut Scholz

19. bis 21. Juni: Delegationsreise des Handelsausschusses (INTA) nach Indonesien

Vom Montag bis Mittwoch wird eine Delegation des Handelsausschusses des Europaparlaments (INTA), der Vertreter*innen verschiedener Fraktionen angehören, Gespräche in Indonesien führen. Vorgesehen sind unter anderem Treffen mit Vertreter*innen von Wirtschaftsverbänden Indonesiens und aus dem ASEAN-Bereich, von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ebenso wird es Begegnungen mit Ministern der indonesischen Regierung und Abgeordneten des Parlaments des größten muslimischen Staates der Erde geben.

Indonesien ist mit seinen 276 Millionen Einwohner*innen das viert bevölkerungsreichste Land der Welt und der weltgrößte Inselstaat; 87 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Zugleich ist Indonesien die größte und eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Südostasiens – über ein Drittel des Bruttoinlandproduktes des ASEAN-Raums werden hier erwirtschaftet. Die Region ist zudem der zweitgrößte Absatzmarkt der EU. Also ziemlich viele Rekordwerte. Auch politisch ein wichtiger Partnerstaat: Als Mitglied der G20 hatte Indonesien 2022 die Präsidentschaft dieser Staatengruppe inne.

Auch das ASEAN-Sekretariat hat seinen Sitz in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Die Beziehungen zwischen der EU und der ASEAN gehen auf das Jahr 1977 zurück, als die offiziellen "Dialogbeziehungen" aufgenommen wurden. Im Jahr 2020 erreichten die EU und ASEAN einen wichtigen Meilenstein in ihren langjährigen Beziehungen, als sie Strategische Partner wurden und damit auch regelmäßige Gipfeltreffen stattfinden.

Zum Verbund der südostasiatischen Staaten ASEAN gehören zehn südostasiatische Staaten und als Beobachter zusätzlich Osttimor. In der EU war ursprünglich vor Jahren geplant, den bilateralen Ansatz eines Region-zu-Region-Freihandelsabkommens zwischen beiden Regionen zu verfolgen. Es scheiterte einerseits an der Erkenntnis, dass man mit der Militärdiktatur des ASEAN-Mitglieds Myanmar kein Abkommen durch Rat und Parlament der EU bringen würde. Und andererseits waren und sind die wirtschaftlichen und regional-politischen zwischen den einzelnen Staaten des ASEAN doch sehr gravierend, was bi-regionale Standard-Setzungen schwierig gestaltet.

Stattdessen verlegte sich die EU auf Abkommen mit einzelnen ASEAN-Staaten. Vor diesem Hintergrund laufen auch die Verhandlungen mit Indonesien.

Die EU-Kommission hat jetzt noch einmal bekräftigt, den Abschluss des Freihandelsabkommens mit Indonesien (CEPA) – insbesondere angesichts der Bedeutung des Landes in wirtschaftlicher und geopolitischer Bedeutung – zu einer ihrer Prioritäten in den nächsten Monaten zu machen. Dabei setzt „Brüssel“ bei den CEPA-Verhandlungen auf einen Verhandlungsansatz, der mit einer fairen Partnerschaft nicht viel zu tun hat. So übt die Kommission starken Druck auf die Regierung aus, damit Indonesien seine öffentlichen Ausschreibungen für EU-Unternehmen öffnet – was in dem Land äußerst kritisch gesehen wird. Auch die von Indonesien erlassenen Ausfuhrbeschränkungen für Rohstoffe sind den EU-Verhandler*innen ein Dorn im Auge.

Kritik kommt aber auch von anderer Seite. Ein seit drei Jahren geltendes und in diesem März nur unwesentlich abgeschwächtes Gesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen (JCL) schränkt die Rechte von Arbeitnehmer*innen massiv ein, kritisieren internationale NGOs wie CNV Internationaal und Mondiaal FNV. Beispielsweise sinkt durch die Nichtberücksichtigung der Inflation im JCL der Mindestlohn. Die Zahl möglicher Überstunden pro Woche wurde auf 18 erhöht; Kündigungsregelungen wurden ebenso erleichtert wie die Ausweitung von Kurzzeitverträgen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Selbstverständlich halten wir als Linke diese Einschränkungen der Rechte von Arbeitnehmer*innen für unhaltbar und drängen auf verbindliche und durchsetzbare Festlegungen im Nachhaltigkeitskapitel mit entsprechender Schiedsgerichtbarkeit im Handelsabkommen, die die strikte Einhaltung von Arbeitsrechten verbindlich und einklagbar fixieren.

Nicht zuletzt drängen wir als Linke ebenfalls auf die Einhaltung von Umweltschutz und die Erhaltung natürlicher Ressourcen. So halte ich es für unhaltbar, dass auch in Indonesien große Waldflächen für die Erzeugung von Palmöl gerodet werden – das dann nicht zuletzt auf dem europäischen Markt landet.

Beunruhigt bin ich zugleich über die wachsenden Spannungen in der Region – und das von der EU-Seite öffentlich deklarierte Interesse, dort „geopolitisch aktiv“ zu werden. Das klingt für mich anders als eine fruchtbare Zusammenarbeit, die die UN-Nachhaltigkeitsziele in den Mittelpunkt stellt. Bereits vor ziemlich genau zwei Jahren hatte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, erklärt: „Wenn wir geopolitisch eine Rolle spielen wollen, müssen wir in der Region auch als sicherheitspolitischer Akteur wahrgenommen werden und sollten nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv sein oder als Handels- und Investitionspartner auftreten.“ Für mich gibt es allerdings keinerlei Zweifel daran, dass gegenseitig vorteilhafte Beziehungen nur dann gedeihen können, wenn es auch in der südostasiatischen Region Sicherheit und Entspannung gibt. In diese Richtung sollte die EU bei ihren ASEAN-Partnern, nicht zuletzt bei der Regierung in Jakarta, agieren.

Natürlich werde ich all diese Punkte bei unseren Treffen während der Reise ansprechen. Über die Ergebnisse werde ich Ihnen berichten. Und wenn Sie zwischenzeitlich über die Situation in Indonesien informieren wollen, empfehle ich Ihnen unsere Webseite https://www.fair-handeln-statt-ttip.eu/

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