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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 128, 19. Januar 2024
Liebe Leser:innen,

die Arbeit der drei großen EU-Institutionen – der Kommission, des Rats und des Europäischen Parlaments – hat deutlich an Fahrt aufgenommen. Kein Wunder, denn bis zur Europawahl sind es gerade noch fünf Monate.

Daher war die Tagesordnung für die Plenarsitzung in dieser Woche in Strasbourg gut gefüllt. Ein Höhepunkt dabei war die Vorstellung des Programms der belgischen Ratspräsidentschaft. Wie Sie sicher wissen, wechselt die „Führung“ der EU alle halbe Jahre, und zum Jahreswechsel ist der Staffelstab von Spanien an Belgien gegangen. Mit der Ankündigung des EU-Ratsvorsitzenden Charles Michel, sich selbst in Belgien um ein Mandat für das Europaparlament zu bewerben, sind nicht nur Spekulationen über Ziel und Absicht zentraler Gesprächsstoff auf den Fluren in Brüssel und von EU-Institutionen, sondern auch die Frage, wer angesichts der notwendigen Karenzzeiten, dann provisorisch den Ratsvorsitz ausfüllen mag – auch angesichts des am 1. Juli beginnenden EU-Ratsvorsitzes von Viktor Orban für Ungarn.

Wichtige Punkte des belgischen „Arbeitsplans“ sehen wir als The Left im Europaparlament kritisch, weil Thema und konzipierte Lösungsansätze nicht Hand in Hand gehen. Es wird weiter um das Thema Migration gehen – die kurz vor Weihnachten verabschiedete Reform des Asylsystems ist kein Schritt hin zu einer wirklichen gemeinschaftlich neu zu fassenden, menschlichen und zukunftsfähigen Migrations- und Asylpolitik und für uns Linke nicht akzeptabel. Und das zum Unwort des Jahres 2023 gekürte „Remigration“ trifft den menschenverachtenden Deal ganz treffend. Weiter bleiben Themen und noch zu regelnde Gesetzesvorhaben zur „grünen Transformation“ der Wirtschaft auf der Agenda – und das, was bekannt wurde läuft auf Abschwächung schon erreichter hoher Zielsetzungen hinaus. Konkret vorgeschlagen werden sollen neue Ansätze zum Schwerpunkt „Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Drogenhandel“.

Besonderes Gewicht wird auch die in Angriff genommene neue Runde von Verhandlungen zur EU-Erweiterung – die Dimension dieser Aufgabenstellung wird erahnbar angesichts der andauernden Aggressionskrieges Russlands in der Ukraine, den Weiterungen dieses Krieges auch für die Republik Moldau aber auch die Länder des Westbalkans. Ich habe immer wieder betont, dass für eine Erweiterung die Reformierung der EU selbst Voraussetzung ist.

Nachdem sowohl das Parlament als auch die Kommission sich schon 2022 für das Ausrichten eines Konvents zur Änderung der EU-Verträge ausgesprochen haben, hat das Parlament im November 2023 das entsprechende Verfahren nach Art. 48 EUV ausgelöst und konkrete Reformvorschläge vorgelegt. Bislang verweigert sich der Rat einer Stellungnahme. Angesichts des vom EU-Rat beschlossenen Fahrplans zur Erweiterung kündigt die belgische Ratspräsidentschaft an, dass die „Entscheidungsstrukturen der Union auf künftige Beitritte“ vorbereitet werden müssten. Zugleich setzt sich Belgien auch das Ziel, „die Befähigung und Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger“ zu stärken. Es bleibt abzuwarten, ob das Europa-Wahljahr endlich vom Rat genutzt wird, seine Schlussfolgerungen zur Umsetzung der Empfehlungen der Zukunftskonferenz vorzulegen und die Einberufung des Konvents für Vertragsänderungen auf den Weg bringt.

Damit verbunden ist auch die Frage der Repräsentanz der europäischen Bürger:innen in den Entscheidungsprozessen der EU. Wenn ich mit Menschen darüber rede, was die EU für sie bedeutet, geht es vielen darum, innerhalb der EU nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, welche nationalen Grenzen sie überschreiten: ein Auslandsstudium ohne Visum oder das unkomplizierte Besuchen von Freund:innen und Familie im Nachbarland! Andere hingegen denken sofort an die Europawahlen, und wiederum andere haben bislang gar keine Vorstellungen davon, wie die EU ihren Alltag beeinflusst – geschweige denn, welche Rechte Ihnen als EU-Bürger:innen eigentlich zustehen.

Doch die EU-Bürgerschaft, auch Unionsbürgerschaft genannt, ist natürlich noch viel mehr als das Recht, sich in der EU frei zu bewegen und zu wohnen. Sie ist in den Artikeln 9 bis 12 des Vertrags über die Europäische Union verankert und begründet unter anderem das Recht darauf, sich über das Abgeben einer Wahlstimme oder sogar über eine eigene Kandidatur aktiv in den EU-Gesetzgebungsprozess einzubringen. Aber auch ganz abseits von parlamentarischen Ambitionen hat man als Unionsbürger:in das Recht, sich über Petitionen und die Europäische Bürgerinitiative am politischen Geschehen zu beteiligen. Und sobald man die EU einmal verlässt, ist gewährleistet, dass man als im Notfall den diplomatischen Schutz eines jedes Mitgliedstaates in Anspruch nehmen kann.

All dies auf dem Papier festzuschreiben, ist jedoch nur die eine Seite der Medaille – damit man sich schlussendlich auch auf die Wahrung seiner EU-Bürgerrechte verlassen kann, müssen diese von den Mitgliedstaaten auch konkret umgesetzt werden. Und den aktuellen Stand genau dieser Umsetzung haben wir uns als Verfassungsausschuss über die letzten Monate hinweg genauer angeschaut, weshalb in der kommenden Woche auch eine Aussprache und Abstimmung im Plenum dazu stattfinden wird.

Als Linke haben wir uns dafür eingesetzt, die Beantragung einer Unionsbürgerschaft für Drittstaatsangehörige mit EU-Daueraufenthaltsstatus zu vereinfachen. Auch war es uns ein besonders wichtiges Anliegen, die weiterhin stattfindende Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren und ihren Kindern hervorzuheben, wenn es um die Ausübung ihres Grundrechts auf Freizügigkeit geht. Derartige Vorgänge sind vollkommen inakzeptabel: Nicht ohne Grund ist ein Diskriminierungsverbot aufgrund von Geschlecht und sexueller Ausrichtung in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert.

Schlussendlich betont der Bericht auch die Notwendigkeit eines EU-Bürgerstatuts und fordert die Verabschiedung einer verbindlichen Charta zu digitalen Rechten. Wir als Linke und auch ich persönlich werden uns weiterhin für eine Stärkung des Europäischen Bürgerrechts einsetzen und jeder versuchten Schwächung entgegenstellen – egal ob auf dem Papier oder in der Umsetzung.

Ein weiteres spannendes Thema, das diese Woche auf der Tagesordnung des EU-Parlaments stand, sind die Beziehungen zu Indien. Die Abstimmung eines Berichts zu dieser Frage soll das bilaterale Verhältnis voranbringen und Druck machen für den zügigen Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Indien. Ein solches Abkommen mit der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt über die Ziellinie zu bringen ist ambitiös – und gegenwärtig, zumal im Superwahljahr 2024 – neben den Europawahlen wird auch in Indien gewählt, gibt es nicht nur große Differenzen, sondern sind vielmehr auch grundsätzlich die Problemlagen und Interessen offen anzusprechen und mit der Bereitschaft zu verknüpfen gleichberechtigt zu verhandeln – mit Blick auf die sozialen, gesellschaftlichen und umweltpolitischen Rückwirkungen einer vertieften wirtschaftlichen Koperation der EU und des wichtigen G20 Staates Indien.

Allein ein geopolitischer Ansatz, Indien als Partner der EU in machtpolitischen Belangen als ein regionales Gegengewicht zu China „zu gewinnen“, wie aus dem Parlamentsbericht hervorgeht, geht an der eigentlichen Fragestellung vorbei und wird den beiderseitigen Herausforderungen nicht gerecht. Schon gar, wenn der Bericht Möglichkeiten einer militärischen Kooperation im indischen Ozean und Südasien sieht. Vielmehr sollte die Debatte herausarbeiten, dass es angesichts unserer globalen gemeinsamen Herausforderungen einer Intensivierung und Vertiefung des Beziehungsgeflechts bedarf – auf Grundlage regelgestützter, fairer Zusammenarbeit aller politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlicher Akteure, die die Bürger:innen-Interessen des bevölkerungsreichsten Landes der Erde ebenso wie die der EU 27 und künftiger neuer EU-Mitgliedsländer in Anerkennung der sehr heterogenen gesellschaftlichen Entwicklungen zum Maßstab nimmt.

Ich sende Ihnen herzliche Grüße und wünsche Ihnen einen guten Start ins Wochenende.

Ihr

Helmut Scholz 

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