Wird dieser Newsletter nicht richtig dargestellt? Link zur Online-Version
Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 83, 16. Dezember 2022
Liebe Leser*innen,

das Jahr 2022 neigt sich dem Ende entgegen - ein schwieriges und überaus herausforderndes Jahr, das noch immer kein Ende der Corona-Pandemie mit seinen globalen Auswirkungen auf Gesellschaften, Wirtschaft, Politik und vor allem Gesundheitssysteme weltweit gebracht hat. Ein Jahr, das seit dem 24. Februar mit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Rückkehr von Krieg als Mittel von Politik auch auf den europäischen Kontinent zurückgebracht hat und entgegen vieler der Hoffnungen, Wünsche und Initiativen des letzten Jahreswechsels verlaufen ist.

Auch die vergangene Plenarsitzungswoche, die letzte parlamentarische Plenartagungswoche in diesem zu Ende gehenden 2022, stand unter keinem guten Stern und verlief anders als noch vor 14 Tagen geplant und im letzten Newsletter vorausgeschaut. Wie Sie sicherlich den Medien entnehmen konnten, stehen Eva Kaili, eine der Vizepräsident*innen des EU-Parlaments, und womöglich weitere Abgeordnete und Mitarbeiter*innen unter Verdacht der Korruption, der Geldwäsche und der Einflussnahme aus dem Ausland. Konkret soll es seitens Qatar und Marokko Einflussnahmen auf politisches Handeln des Parlaments gegeben haben, wofür Mengen an Geld in Richtung der mutmaßlich Beschuldigten geflossen sind. Hundert Tausende von Euro seien bisher gefunden worden. Nicht nur die Menschenrechtssituation in Qatar, sondern auch die Positionierung des Europaparlaments zum EU-Marokko-Fischerei-Abkommen sollen da politische Bezugspunkte sein. Die Aufklärung und die strafrechtlichen Untersuchungen laufen.

Dies erschüttert das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und die Europäischen Institutionen, insbesondere in das Europäische Parlament, das als einzige EU-Institution direkt gewählt wird.

Als erste Antwort auf den skandalösen Korruptionsvorfall folgte die sofortige Absetzung von Eva Kaili zu Beginn der Woche, mit nur einer Gegenstimme votierten alle Europaabgeordneten dafür.

Die Kommissionspräsidentin Frau von der Leyen reagierte mit dem Vorschlag, ein Ethikgremium einzusetzen, wie es in der EU-Kommission bereits bestünde. Aber, und auch das ist Teil der notwendigen Transparenzschaffung, es gehört ergänzt, dass sich im Europaparlament seit mehreren Jahren in diese Richtung bemüht wird und eine solche Struktur vor allem als eine interinstitutionelle Einrichtung aller drei EU-Behörden von Rat, Parlament und Kommission gestaltet wird. Aber in der Vergangenheit gab es keine auseichenden Mehrheiten und Bereitschaft aus den jeweiligen Institutionen heraus, aktiv und konkret entsprechend zu handeln. Offensichtlich musste das Kind erst in den Brunnen stürzen.

Am Donnerstag stimmte das Parlament dann nach einer auf Verlangen unserer Fraktion The LEFT anberaumten Aussprache im Plenum zu diesem mir ungeheuerlichen Vorgang einer grundsätzlichen Entschließung zu. Darin fordern wir Abgeordnete das Transparenz-Register der EU verbindlich vorzuschreiben und dessen Anwendungsbereich auf Vertreter*innen von Nicht-EU-Ländern und ehemalige Mitglieder auszuweiten, und es so zu stärken, damit es für eine gründlichere Überprüfung von Informationen genutzt werden kann. Um auch andere damit zusammenhängende Fragen anzugehen, werden wir einen Untersuchungsausschuss einrichten, um Fälle von Korruption und unzulässigen Handlungen von Nicht-EU-Ländern zu untersuchen, sowie einen Sonderausschuss, der Schwachstellen in den Vorschriften des Parlaments aufdeckt und Reformvorschläge unterbreitet. Der bisherige beratende Ausschuss für das Verhalten der Mitglieder des Parlaments sollte durch ein neues Gremium mit einem unabhängigen, externen Element ersetzt werden, um tatsächliche Kontrolle zu gewährleisten.

Zugleich soll das Parlament strengere Regeln für die Finanzkontrolle aller Vergütungen für MdEP einführen, einschließlich der Anforderung, dass die MdEP über alle ihre Ausgaben Rechenschaft ablegen müssen.

Bisher gab es im Parlament keine Einigung über alle diese Punkte. Ich hoffe, dass der nun öffentlich gewordene Korruptionsskandal alle Abgeordneten zum Umdenken bewegt und wir schnellstmöglich die Regularien verschärfen. Nur so können wir das Vertrauen der Menschen in die politischen Institutionen und das Handeln der Politik zurückgewinnen und ausbauen.

Darüber hinaus sollte ein Vizepräsident mit Zuständigkeit für Integrität und die Bekämpfung von Korruption und Einflussnahme aus dem Ausland betraut werden.

Die Europa-Abgeordneten erkennen an, dass eine ordnungsgemäße Regulierung und Überwachung von Freundschaftsgruppen eine Voraussetzung für deren Fortbestand im Parlament ist und beauftragen die Quästoren, die bestehenden Vorschriften umzusetzen und ein zugängliches und aktuelles Register zu erstellen. Sie fordern zudem die Offenlegung des „legislativen Fußabdrucks“ bei vorgeschlagenen Texten und Änderungsanträgen.

Zusammenarbeit mit anderen EU-Institutionen und Agenturen

Das Parlament fordert in der Entschließung die Kommission auf, sobald wie möglich einen Vorschlag zur Einrichtung des unabhängigen Ethikgremiums vorzulegen, das das Parlament im September 2021 vorgeschlagen hat, und empfiehlt Verbesserungen am Statut der EU-Beamten, um es mit den Standards der Richtlinie über Hinweisgeber (Whistleblower) in Einklang zu bringen. In diesem Zusammenhang ist es gut, dass es unserer Fraktion gelungen ist, dass auch Julian Assange endlich im Kreis der 3 Finalisten-Kandidaten für den Sacharow-Preis 2022 des Europäischen Parlaments nominiert werden konnte. Dieser Preis wird anlässlich des Internationalen Tages für Menschenrechte der Vereinten Nationen traditionell im Dezember eines jeden Jahres im Plenum verliehen. Dazu später noch mehr.

Diese o. g. Maßnahmen sollen intern bereits ohnehin umgesetzt werden. Außerdem wird von uns die Rolle der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust), von Europol und des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) bei der Korruptionsbekämpfung hervorgehoben. Wir fordern ferner, die Kapazitäten und die Zusammenarbeit von EPPO und OLAF weiter auszubauen sowie gemeinsame Vorschriften zur Korruptionsbekämpfung, die für die Mitglieder und Bedienstete der EU-Einrichtungen gelten, zu erlassen.

Und ganz konkret heißt das auch: konsequente Schritte für mehr Transparenz und Rechenschaftspflichten im Europäischen Parlament und allen anderen EU-Institutionen im parlamentarischen Alltag und vor allem in der Gesetzesarbeit. Jegliche Treffen mit Außenstehenden, seien es Regierungsvertreter*innen von Drittstaaten oder auch Interessenvertreter*innen von Konzernen, Unternehmen, Gewerkschaften, Verbänden oder Nichtregierungsorganisationen, sind durch die EU-Institutionen öffentlich nachweisbar zu machen. Daher sollten alle Gespräche/Verhandlungen transparent gemacht werden, und zwar verpflichtend für alle, ohne Ausnahmen. Denn bisher sind beispielsweise Regierungsvertreter*innen von Drittstaaten von der Transparenzpflicht befreit. Doch nur wenn die Verpflichtung für alle gilt, und eine konsequente Überwachung und Durchsetzung der Regelungen besteht, kann politische Einflussnahme im Vorfeld möglichst verhindert werden.

Mit einem Satz: wir haben uns als Politiker*innen verpflichtet, die Interessen der Bürger*innen wahrzunehmen und entsprechend Politik zu machen. Dafür haben wir das Vertrauen erhalten und jede*r von uns, und jede politische Partei steht in der Verantwortung für die Einlösung dieser eingegangenen Verpflichtung gegenüber den Menschen, die in der EU leben.

Übrigens hat auch Transparency International hierzu Vorschläge unterbreitet, die ich durchaus teile. So müssen dann die Geschäftsordnung und der Verhaltenskodex für die Abgeordneten des Parlaments überarbeitet werden, um sicherzustellen, dass solche Vorfälle nicht erneut geschehen. Dazu braucht es aber auch wirksame Sanktionen und die*der Parlamentspräsident*in sollte nicht länger die alleinige Befugnis haben, über Sanktionen zu entscheiden.

Also werden die beiden Ausschüsse JURI und AFCO (also auch meine Kolleg*innen und ich im Konstitutionellen Ausschuss) zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen. Aber richtig so, und mehr als notwendig.

Und vielleicht noch ein anderer Bezugspunkt zur Transparenzpflicht aus dem Bereich des internationalen Handels: Nachdem der Bundestag der Ratifizierung von CETA zugestimmt hat, kam nun auch ein mehrheitlich positives Votum aus dem Bundesrat zum Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Dieser jetzt nach 5 Jahren erfolgte Ratifizierungsbeschluss ergibt sich aus dem Charakter des Handelsvertrages. Der Investitionsteil zwingt zur mitgliedstaatlichen Ratifizierung, nachdem der handelspolitische Teil bereits vorläufig seit 5 Jahren in Kraft ist. Sollte ein Staat dem Vertrag in dieser Ratifizierung nicht zustimmen, würde der CETA-Vertrag in seiner Gänze aber hinfällig. Hintergrund für dieses lange Prozedere ist, dass im Investitionsteil zwischen der EU und Kanada das zwar weiterentwickelte, aber in der Logik nicht veränderte Recht von Investoren, Staaten oder andere Gesetze oder Regelungen setzende Institutionen in Sondergerichten zu verklagen, festgehalten ist. Die Linke bleibt deshalb nach wie vor bei ihrer Kritik des Handelsabkommens trotz seiner moderneren und weitsichtigeren Regelungen im Vergleich zu vielen anderen Handelsverträgen der EU oder von bilateralen Investitionsabkommen der Mitgliedstaaten. Denn mit einer Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten und dem vollumfänglichen Inkrafttreten wäre der Weg frei für Klagen von kanadischen Unternehmen vor dem sogenannten Investitionsgerichtssystem, einer Sonderinstanz, wenn ihnen wegen Gesetzesänderungen in EU-Staaten Gewinne entgehen würden. Sie erinnern sich sicherlich an die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall auf Grund des Atomausstiegs. Deutschland muss Vattenfall nun eine Entschädigung in Milliardenhöhe zahlen, zulasten der Steuerzahler*innen. Die Linke bleibt dabei, dass Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz über dem Schutz von Investoren stehen muss. Und deshalb wäre es so wichtig, dass nun endlich auch die EU nach einer Reihe von Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, aus dem Energiecharta-Abkommen (ECT) - ich hatte darüber berichtet - aussteigen würde. Es ist überfällig.

In der kommenden Woche vor Weihnachten bin ich nochmal zu einer Dialogveranstaltung zwischen Bürger*innen und Politiker*innen eingeladen, im Rahmen des Projektes "Europa für alle. Bürgerinnen und Bürger deliberieren europäische Werte". Dabei soll es unter anderem um Aspekte der weiteren Demokratisierung der EU gehen, insbesondere den möglichen Ausbau einer Beteiligung von Bürger*innen an konkreten Vorschlägen zur Ausgestaltung der europäischen Integrationsprozesse, ihrer Ausweitung oder aber auch kritischen Überprüfung hinsichtlich von Subsidiarität, also dem Verhältnis von regionalen, nationalen und europäischen Verflechtungen und der Gewichtung ihrer Relevanz für den Alltag von Menschen in der EU27 und für die weitere Entwicklung der EU.

Ich bin gespannt auf den Austausch und blicke vor diesem Hintergrund nun dennoch auch hoffnungsvoll in Richtung des kommenden Jahres. Allem voran hoffe ich, dass der Krieg gegen die Ukraine so schnell wie möglich beendet werden kann, dass das Leid der Menschen ein Ende findet. Und dass die solidarische Unterstützung für die Menschen in der Ukraine, die für ihren Kampf um ihren freien, selbstbestimmten und souveränen Staat den Sacharow-Menschenrechts-Preis 2022 des Europäischen Parlaments erhalten haben, dazu einen wirksamen Beitrag leisten kann.

Einiges hat die Linke auf EU-Ebene voranbringen können. Es bleibt angesichts der diversen Krisen noch viel zu tun aber wenn wir an die enge Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Umwelt- oder Sozialverbänden, Klimabewegungen oder auch mit Bürger*innen anknüpfen, dann wird es uns sicherlich gemeinsam gelingen, Gesundheitskrise, Energiekrise oder Klimakatastrophe im Sinne der Menschen und der Natur zu lösen. Und zwar so, dass die Lasten endlich gerecht verteilt und diejenigen, die am meisten unter den Krisen leiden, endlich umfassend entlastet werden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen erholsame Tage zum Jahresende

Ihr Helmut Scholz

Facebook  Twitter  YouTube
DIE LINKE im Europaparlament

Büro in Brüssel
Europäisches Parlament
ASP 02G354
Rue Wiertz 60
B-1047 Brüssel
Telefon: +32 228-45 89 3
Telefax: +32 228-49 89 3
helmut.scholz@ep.europa.eu

Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin
Postanschrift:
Helmut Scholz MdEP
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Besuchsanschrift:
Unter den Linden 50
10117 Berlin
wk@helmutscholz.eu

Europa- und Bürgerbüro Rostock
Kröpeliner Straße 24
18055 Rostock
Telefon: 0179 758 41 26
wk@helmutscholz.eu

Europa- und Bürgerbüro Schwerin
Martinstraße 1A
19053 Schwerin
Telefon: 0179 758 41 26
wk@helmutscholz.eu

Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder)
Zehmeplatz 11
15230 Frankfurt (Oder)
Telefon: 0151-53 69 84 15 und 03563-99 93 92 6
wk@helmutscholz.eu

Europäisches Regionalbüro Spremberg
Europejski regionalny běrow Grodk
Bauhofstraße 1
Twaŕski dwór 1
03130 Spremberg
03130 Grodk
Telefon: 0151-53 69 84 15 und 03563-99 93 92 6
wk@helmutscholz.eu

Wenn Sie diesen Newsletter nicht weiter beziehen wollen, können Sie hier ihre E-Mail-Adresse aus dem Verteiler austragen