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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 85, 13. Januar 2023
Liebe Leser*innen,

sehen wir uns Sonntag bei Karl und Rosa? Wie jedes Jahr findet am zweiten Januarwochenende die Ehrung für die Revolutionäre Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht statt. In diesem Jahr fällt der Tag des Gedenkens auf den 104. Jahrestag der Ermordung von Karl und Rosa am 15. Januar 1919 durch reaktionäre Freikorpssoldaten.

Für mich ist das Gedenken auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde ein fester Termin in meinem Kalender. Vielen von Ihnen wird es ähnlich gehen. Aber auch wenn es Ihnen vielleicht gesundheitlich nicht so gut geht und Sie nicht direkt vor Ort sein können, kann ich mir gut vorstellen, dass Sie sich an diesem 15. Januar noch einmal besonders intensiv mit Positionen und Überzeugungen wie langfristigen Wirkungen der Lehren von Karl und Rosa beschäftigen werden. Denn neben den vielen Impulsen für eine linke, revolutionäre Bewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts stand für die beiden ein Punkt stets im Mittelpunkt: der Kampf für Frieden, gegen Krieg und die damit verbundene Aufrüstung. Könnte heute, knapp ein Jahr nach der Februar- Aggression Putins gegen die Ukraine, ein Thema aktueller sein?

Es ist an dieser Stelle noch von einem anderen Jahrestag zu berichten. Zu Jahresbeginn feierte der Europäische Binnenmarkt seinen 30. Geburtstag. Dauerhaft wurden Ländergrenzen überwunden. Vornehmlich auf wirtschaftliche Aspekte bezogen, nicht zuletzt auch im Konkurrenzkampf mit den anderen kapitalistischen Zentren. Zu den vier Grundfreiheiten, die diesen Binnenmarkt begründen und garantieren soll(t)en, gehören der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen innerhalb der EU. Und damit gewann und gewinnt der Binnenmarkt in der Tat nicht mehr nur wirtschaftliche Realität, sondern hat auch sukzessive Wirkungen in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein. Heute gehört der Europäische Binnenmarkt zu den größten Wirtschaftsräumen der Welt - neben China, den USA, den ASEAN-Staaten oder künftig auch der Afrikanischen Freihandels-Zone (AfCFTA). "Ziel der Europäischen Union ist es, dass die EU-Bürgerinnen und -Bürger in allen EU-Ländern studieren, wohnen, einkaufen, arbeiten oder ihren Ruhestand verbringen sowie aus einem reichhaltigen Angebot an Produkten aus ganz Europa wählen können", heißt es in EU-Publikationen dazu. Ja, der Binnenmarkt schafft viele Vorteile, auch für die Bürger*innen. Dass es aber dabei nicht zuletzt um Profitmaximierung geht, wird nicht nur hinter vorgehaltener Hand zugegeben.

Zumal die Realität im Binnenmarkt nicht so glänzend ist wie in den Beschreibungen in den Broschüren und auf Webseiten der EU-Institutionen. Die Konferenz über die Zukunft der EU war deshalb auch eine Debatte darüber wie die Widersprüche im Binnenmarkt im Interesse der Menschen in der EU27 und darüber hinaus produktiv und gerechter aufgelöst werden können. Wie die EU als ein lebenswerter und lebensgerechter Raum künftig ausgestaltet sein soll. Ein soziales Europa braucht eine gemeinschaftlich bestimmte Wirtschafts-, Währungs- und Steuerpolitik – sonst bleibt der Wettbewerb des Binnenmarktes alleiniges Kriterium. Auch die berechtigten Proteste gegen die Abbaggerung von Lützerath - symbolisch als Protest gegen den erneuten Rückgriff auf fossile Energieträger zu verstehen - verdeutlichen: im heutigen Binnenmarkt sind viele neue Aufgaben im Sinne konsequenten und radikalen Umsteuerns unserer Wirtschaft, unserer Produktions-und Konsumtionsweise zu regeln. Für DIE LINKE ist die EU deshalb ganz klar mehr als der Binnenmarkt. Gerade wenn wir dazu beitragen wollen, die gewaltigen globalen Herausforderungen friedlich und solidarisch mit Menschen und Natur zu lösen. Axel Troost schrieb dazu: "Die Wirtschaftspolitik, die heute in der EU praktiziert wird, gefährdet die Errungenschaften in den sozialen Rechten, im Umweltschutz und in der sozialen Demokratie in den Mitgliedstaaten. Wenn Europa morgen noch bestehen will, muss es unsere Bürger wieder näher zusammenbringen und einen Binnenmarkt schaffen, der die Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert und diese Rechte nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in der Union fördert."

Leider ist Axel, Sie werden es vermutlich wissen, vor wenigen Tagen verstorben. Er war ein ebenso kluger Wirtschaftswissenschaftler wie humorvoller Mensch. Mit seinen Analysen, dem Erarbeiten machbarer Alternativen zum Ist-Zustand, gerade auch mit seinem Wirken in der Euro-Memo-Gruppe hat er die wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz unserer Partei, auch in Bezug auf europäische Wirtschaftspolitik, gestärkt. Sein Denken und sein Handeln werden uns fehlen.

Es gibt aber nicht nur traurige Nachrichten, sondern auch Grund zum Feiern. Am Montag begeht Gregor Gysi seinen 75. Geburtstag. Ich will hier nur einige wenige Stationen aus seinem Leben nennen: Noch im Dezember 1989 zum SED-Vorsitzenden gewählt, übernahm er diese Funktion auch in der folgenden PDS. Er war viele Jahre Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Linksfraktion, eine kurze Zeit Wirtschaftssenator in Berlin, von 2016 bis 2019 Präsident der Partei der Europäischen Linken - und immer wieder Feuerwehrmann, wenn es wieder einmal an einer Stelle der Partei brannte. Kaum ein Politiker hat die LINKE so geprägt und ihr ein Gesicht gegeben wie Gregor. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass er vielen Menschen nicht nur "aus der Politik" bekannt ist.

Ich werde auf jeden Fall am Montag bei Gregor vorbeischauen und ihm im Namen unserer Delegation, die ja in die Eröffnung der Plenardebatten in diesem Jahr vor Ort in Strasbourg eingebunden ist, das Beste für die kommenden Jahre wünschen. Was an wichtigen Terminen in der kommenden Woche also v. a. dort noch ansteht, lesen Sie wie stets unten.

 

Ihr

Helmut Scholz

17. Januar: Plenarsitzung - Arbeitsprogramm der Schwedischen Ratspräsidentschaft

Schwedens Premierminister Ulf Kristersson wird in seiner Rede vor dem Europaparlament die Prioritäten der Ratspräsidentschaft vorstellen, die seine neu gebildete Regierung gleich zu Beginn ihrer Amtszeit übernimmt. Der konservative Kristersson regiert mit Unterstützung der rechtsextremen Partei Schwedendemokraten. Mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine werden Sicherheits- und Verteidigungspolitik als erste Priorität genannt. Ganz oben auf der politischen Agenda wolle man aber auch einen konzertierten Ansatz für die europäische Wettbewerbsfähigkeit verankern. Die Wirtschaft solle sich auf freien Wettbewerb, private Investitionen und Digitalisierung stützen. Noch ist nicht ganz klar erkennbar, mit welchen konkreten Gesetzgebungsvorhaben das alte neoliberale Credo der schwedischen Rechts-Rechtsaußen Koalition korrespondieren soll. Klar ist hingegen, dass der rasche Abschluss möglichst vieler Freihandelsabkommen von Stockholm begrüßt werden würde - auch wenn bislang nichts deutlich untersetzt ist im vorliegenden Text des schwedischen Rats-Vorsitz.

Da Ratspräsidentschaften in der EU inzwischen nur noch ein halbes Jahr dauern und Teil einer sogenannten Triopräsidentschaft sind, ist auch die Handschrift Frankreichs und Tschechiens noch im Programm zu finden. Die Umsetzung der ökologischen und energiepolitischen Wende durch die Programme „Fit for 55“ steht an, wie auch die Neuordnung des europäischen Energiemarktes, um die Preisentwicklung aber auch die Versorgungssicherheit in den Griff zu bekommen. Die Überschriften Demokratische Werte und Rechtstaatlichkeit bleiben in der Prioritätenliste. Aber trotz der größten Flüchtlingsbewegung seit dem zweiten Weltkrieg findet sich die Bewältigung der damit verbundenen Aufgabenstellungen leider nicht in den Prioritäten. Wie also die bereits dreimal vom Europäischen Parlament eingeforderte Neufassung der EU-Asyl- und Migrationspolitik und Überarbeitung des Dublin-Systems konkret in Angriff genommen werden soll, bleibt wieder einmal ohne programmatische Aussicht seitens der EU-Rats.

Die Debatte können Sie hier in der EU-Sprache Ihrer Wahl ab 09:00 Uhr live verfolgen.

17. Januar: Plenum - Wahl eine*r Vizepräsident*in des Europäischen Parlaments (als Ersatz für Eva Kaili)

Das Europaparlament hat bereits unmittelbar nach der Inhaftierung der sozialdemokratischen Europaabgeordneten Eva Kaili wegen Korruption und Bandenkriminalität Konsequenzen gezogen und sie ihres Amtes als Vize-Präsidentin des EP enthoben. Heute steht nun eine Entscheidung über ihre Nachfolge an. Dabei ist es noch nicht sicher, dass für diesen Posten erneut eine Person aus der S&D Fraktion gewählt wird. Im Vorfeld waren in der letzten Woche nun auch zusätzliche Kandidaturen aus der Fraktion der Grünen und aus dem Kreis der fraktionslosen Abgeordneten angemeldet: bislang stehen  der luxemburgische Abgeordnete Marc Angel (S&D), Gwendolyn Delbos-Corfield (The Greens/EFA) auf der Kandidat*innenliste.

Die Wahl können Sie hier in der EU-Sprache Ihrer Wahl ab 12:00 Uhr live verfolgen.

Mit der Neuwahl ist das Thema Korruptionsaffäre durch zahlende Einflussnahme der Regierungen von Katar und von Marokko jedoch nicht erledigt. Für zwei weitere Abgeordnete wurde von der belgischen Justiz ein Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt. Zudem trat die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Maria Arena, nun zurück. Sie unterhielt enge private Kontakte zu ihrem Vorgänger und Hauptbeschuldigten ex-MdEP Panzeri, ohne dass bislang konkrete Vorwürfe hier bekannt wurden.

Die Präsidentin des Europaparlaments strebt tabula rasa hinsichtlich der weiteren Aufarbeitung des Korruptionsskandals, v. a. aber hinsichtlich struktureller Neuregelungen an. Roberta Metsola hat den Fraktionsvorsitzenden letzten Donnerstag einen 14-Punkte-Katalog mit Maßnahmen vorgelegt, die Transparenz weiter fördern und stärken sowie unlautere Einflussnahme auf die Arbeit des Europaparlaments verhindern sollen.

Ich werde für die Fraktion THE LEFT  an der Sitzung des zuständigen „Advisory Committee on the Conduct of Members“ teilnehmen und über die Vorschläge und deren Umsetzung beraten.

Es ist interessant zu beobachten, dass manche Vorschläge zum Transparenzregisters des Europaparlaments, die ich bei dessen Einrichtung für die Linke gemacht hatte und die von der Europäischen Volkspartei immer abgelehnt wurden, nun von der zur EVP gehörenden Präsidentin Metsola selbst eingebracht werden.

Künftig sollen nicht mehr nur Berichterstatter*innen und Ausschussvorsitzende ihren legislativen Fußabdruck transparent machen, sondern alle Abgeordneten. Auch unsere Assistent*innen sowie Beamt*innen des Parlaments und der Fraktionen werden in das Transparenzregister eintragen müssen, mit wem sie Gespräche geführt haben. Botschaften sollen nicht länger ausgenommen sein, Treffen mit Vertreter*innen von Nicht-EU-Staaten müssen ebenfalls transparent gemacht werden. Jede Person, die das Parlament betritt, soll künftig angeben, mit wem sie sich treffen wird. Für mich selbst handhabe ich das übrigens schon lange so.

Ausscheidenden Europaabgeordneten soll es zwei Jahre lang verboten sein - oder zumindest so lange, wie sie ihr Übergangsgeld beziehen - als Lobbyist*innen im Parlament ein- und auszugehen.

Metsola fordert auch, dass Abgeordnete alle ihre sonstigen (Neben)Einkünfte künftig detailliert offenlegen sollten. Für diesen Vorschlag und einige weitere Vorschläge braucht es jedoch die politische Zustimmung der Abgeordneten und entsprechende Abstimmungen zu Veränderungen am Abgeordneten-Statut im Plenum.

Metsola schlägt zudem ein gänzliches Verbot der sogenannten Freundschaftsgruppen vor. Neben den 45 offiziellen Delegationen, die das Parlament für die Beziehungen mit den Parlamenten in anderen Regionen der Welt unterhält, richteten Abgeordnete in Eigeninitiative etwa 40 zusätzliche Freundschaftsgruppen ein, die mitunter eng mit den jeweiligen Botschaftern*innen kooperieren, oft aber auch dem Dialog mit Völkern ohne staatliche Vertretung gewidmet sind, wie bspw. Kurd*innen, Sahraoui oder Yesidi. Hier wird auf die AG „Geschäftsordnung“ des Verfassungsausschusses (AFCO) sicherlich weitere detaillierte Arbeit zukommen, gilt es doch v. a. auch inhaltliche Kriterien für die Arbeit der offiziellen Länder-Delegationen festzulegen, damit diese sich viel stärker der pluralen und differenzierteren Betrachtung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen sowie sozialen Entwicklungen in den Partnerländern widmen müssen, und nicht nur auf jeweilige EU-Interessen-Wahrnehmung als Kriterium für die Schwerpunktsetzung der Delegationsarbeit orientieren.

Im Korruptionsskandal geriet v. a. die EU-Katar Freundschaftsgruppe im Europaparlament ins Blickfeld, über die immer wieder Abgeordnete gezielt angesprochen worden sind, und deren Vorsitzender übrigens José Ramón Bauzá Díaz ist (oder war), ein Abgeordneter aus der spanischen Partei Ciudadanos in der liberalen Renew Europe Fraktion. Das Verbot aller Freundschaftsgruppen wird Einflussnahme erschweren. Es wird zweifellos den Alleinvertretungsanspruch der offiziellen Delegationen stärken. Es wird jedoch auch die Solidaritätsarbeit erschweren und eine Form des Werbens um Verständnis zwischen Kulturen nehmen, die von vielen Gruppen in sehr positiver Form ausgestaltet worden ist. Das muss dann neu in die Arbeit der Delegationen einfließen müssen, sonst wird dieser Ansatz Metsolas nicht positiv zu Buche schlagen.

17. Januar: Plenardebatte zur Einrichtung eines Tribunals für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine

Im Rahmen der fast 8-stündigen Nachmittags- und Abenddebatten wird neben den Jahresberichten zur Gemeinsamen und Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GVSP) und zu den Beziehungen der EU mit lateinamerikanischen Ländern unter anderem auch eine Debatte zur Errichtung eines Tribunals zum Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine stattfinden. Fast ein Jahr nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine bleibt der andauernde Krieg in seiner Allgegenwärtigkeit ein Grund für die weitere Auseinandersetzung mit den verschiedensten Seiten dieser Realität auf unserem Kontinent - mit all ihren Auswirkungen auf die Menschen in der Ukraine, in der Russischen Föderation, in der EU und weltweit. Das Europäische Parlament will in dieser Debatte sowohl den Chef des Auswärtigen Dienstes, den Hohen Vertreter und Vizepräsidenten der EU-Kommission, Josep Borell, anhören und erste Gedanken dazu formulieren, inwiefern eine zukünftige Bestrafung der Verantwortlichen für diese Aggression völkerrechtlich in Form eines Tribunals aussehen könnte. Erneut wird deutlich, dass sich das wissentliche Setzen und Praktizieren von Doppelstandards in der internationalen Politik, also auch seitens der Verantwortlichen für die Außen- und Sicherpolitik in der EU, bei der Umsetzung der Verpflichtungen der UNO-Charta rächt. Wer wie die UNO-Sicherheitsrats-Veto-Mächte USA, Russische Föderation oder China oder auch andere Länder wie Indien, Türkei oder Israel die Anerkennung internationaler völkerrechtlicher Regelungen ablehnt, wie z. B. den Internationalen Strafgerichtshof (123 Mitgliedstaaten, darunter alle EU-MS) und das Römische Statut einschließlich seiner Weiterung auf die Einstufung des Verbrechens der Aggression in Bezug auf eigenes Agieren, kann kaum glaubwürdig andere Schritte völkerrechtlicher Verantwortlichkeit einfordern. Dies wird eben auch die Einrichtung eines solchen Internationalen Strafgerichts über die UNO von vornherein erschweren und die internationale Staatenwelt spalten. Aber eine wichtige Debatte allemal, auch wenn damit sicherlich kein Frieden gewonnen werden kann.   

18. Januar: Plenardebatte zur terroristischen Bedrohung durch rechtsextreme Netzwerke

Ein weiteres wichtiges Thema der kommenden Plenarsitzung steht am Mittwochnachmittag auf der Tagesordnung: "Die terroristische Bedrohung durch rechtsextreme Netzwerke unter Missachtung der demokratischen Grundordnung".

Gerade aus deutscher Perspektive erscheint diese Debatte vor dem Hintergrund des aufgedeckten Reichsbürger-Netzwerks rund um Heinrich Prinz Reuss besonders aktuell. An Relevanz verloren hatte die Bedrohungslage durch rechtsextreme Gewalt und ihre Organisierung in der Bundesrepublik jedoch nie: Die Angriffe auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, die jahrelang ungestörten Morde des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der Mord an Walter Lübcke, der versuchte Massenmord an Juden in Halle, der Terrorakt in Hanau – von einer "neuen" Gefahr kann und darf nicht gesprochen werden.

Während jeder dieser rassistischen Terrorakte für sich genommen bereits ein offensichtlicher Angriff auf unsere demokratische Grundordnung und die Menschenwürde ist, ist die Ablehnung einer demokratischen Gesellschaft auch ganz explizit in der Ideologie der deutschen rechtsextremen und rechtslibertären Szene verankert. Auch der Schulterschluss zwischen neoliberaler und rechtsextremer Ideologie sowie der lange bestehenden Finanzierung rechtsextremer Umsturzfantasien durch u. a. den Handel mit Edelmetall in Deutschland konnten z. B. von dem Soziologen Andreas Kemper ausführlich herausgearbeitet werden. Bei den bewaffneten Netzwerken der Reichsbürger haben wir es heute mit Gruppierungen zu tun, die nicht nur jede Form der Demokratie ablehnen, sondern auch konkrete Pläne für den Umsturz unserer gesellschaftlichen Ordnung und die Rückkehr in eine Monarchie in die Tat umsetzen wollen.

Ich möchte daher Martina Renner, meiner geschätzten LINKE-Kollegin aus dem Bundestag, explizit beipflichten, wenn sie betont, dass die "falsche Trennung von Reichsbürgern in Neonazis und 'sonstige Zuordnung' den Großteil dieser gefährlichen Szene unsichtbar macht". Denn, auch wenn die Persona eines größenwahnsinnigen Prinz Reuss erst einmal absurd, ja auch fast ein wenig aberwitzig klingen mag: Es handelte sich bei seinem Netzwerk, der "Patriotischen Union", um eine finanziell gut ausgestattete rechtsextreme Gruppe von über 50 Personen, die aktiv mit ihrer Bewaffnung begonnen und mutmaßlich Kontakte in die militärische Spezialeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) hinein hatte. In mehreren Bundesländern wurden mit konkrete Vorbereitungen begonnen, um Menschen im Falle eines Umsturzes festnehmen und exekutieren zu können. Ziel war der Aufbau einer "neuen deutschen Armee". Diese Handlungen und die Ablehnung der demokratischen Grundordnung entspringen einer Ideologie, die nicht nur von "besonders rechten" Reichsbürgern anerkannt wird, sondern einen fundamentalen Bestandteil der von allen Reichsbürgern geteilten Weltanschauung bildet.

Den Kampf gegen sowohl rechtsextreme und antidemokratische Ideologien als auch ihre politischen Konsequenzen, sowie antifaschistisches Agieren halte ich nicht nur für die Pflicht eines jeden Linken, sondern auch eines jeden Demokraten. Ich erwarte in der Debatte klare Worte gegen diese zunehmenden Bedrohungen der demokratischen Grundwerte und Prinzipien des Zusammenlebens der Menschen und Völker in der EU und in der Welt. Das was Trump und Bolsonaro so buchstäblich greifbar an Nichtachtung und Zerstörung gesellschaftlichen Zusammenhalts demonstriert haben, ist ja nur die Spitze eines Eisbergs der die Dringlichkeit des Widerstands gegen die Bedrohung unserer Demokratien deutlich macht. Ich bin auch deshalb im Ausschuss für Konstitutionelle Angelegenheiten, um das Prinzip der demokratischen Mitbestimmung der Menschen und das Mitwirken an der Ausformung von Politik, auch der EU, zu ermöglichen, zu verteidigen und zu stärken. Und deshalb gehört rechtsextremen Netzwerken das Handwerk gelegt und zugleich muss  der Boden für solche Ideen ausgetrocknet werden.

19. Januar: Debatte und Abstimmung zum Initiativbericht „Lage der handwerklichen Fischerei in der EU und Zukunftsaussichten“

Zuallererst bedanke ich mich für die konstruktive und gute Zusammenarbeit mit João Pimenta Lopes, der als Berichterstatter aus unserer Fraktion diesen wichtigen Bericht des Parlaments erarbeiten konnte.

Mit diesem Bericht positioniert sich das Europaparlament zum Sachstand der Lage der handwerklichen Fischerei in der Europäischen Union, die für uns seit Jahren zu kurz kommt und aus diesem Grund näher betrachtet werden muss. Und zwar aus mindestens zwei grundsätzlichen Perspektiven heraus: wie sieht die reale soziale und wirtschaftliche Situation der Küstenfischerei aus und mit welchen Steuerungsmomenten kann diese zur so dringlich notwendigen Erhaltung bzw. der Wiedergewinnung der maritimen Ökosysteme, der Bewahrung der maritimen Artenvielfalt einen Beitrag leisten. Deshalb ist der Initiativbericht sicherlich unabdingbarer Teil der grundsätzlichen Debatte: wie sollte und muss die Gemeinsame Fischereipolitik der EU mit ihren fraglos lokalen, regionalen und globalen Produktions- und Konsumtionsstrukturen gerade unter diesen spezifischen Notwendigkeiten neugestaltet werden?

Im Bericht wird deshalb klar ausgeführt, dass eine Antwort auf die Herausforderungen darin bestehen muss, die traditionelle Fischerei zu fördern. Uns ist eine langfristige ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit mit einer angemessenen Lebensstandardsicherung der Fischer*innen überaus wichtig. So kann es zu einer verantwortungsbewussten Fischerei nur kommen, wenn stärkere Anreize für Betreiber*innen angeboten werden, umweltfreundlich zu arbeiten und infolgedessen den größten Nutzen für die gesamte Gesellschaft zu erzeugen. Denn gerade die handwerkliche Fischerei weiß am besten um die reale Lage der Fischbestände, um die ökologischen Auswirkungen ihrer Produktion auf das maritime Ökosystem. Sie leben seit Jahrtausenden im Einklang mit der Natur.

In der EU-Fischereipolitik allein sieht es real jedoch so aus, dass auf insgesamt 76 % der aktiven Schiffe und 50 % des Schiffspersonals, die in der industriellen Fischerei tätig sind, nur 8 % der Bruttoraumzahl und rund 5 % der Anlandungen auf die kleine bzw. handwerkliche Fischerei entfallen. Das ist insbesondere in Hinsicht auf die oft viel schonenderen Fangmethoden der Küstenfischerei im Verhältnis zu den großen Fangflotten sowohl ökologisch als auch ökonomisch ein Negativtrend, den es aufzubrechen gilt.

Ich bin der Überzeugung, dass wir der Klein- und Küstenfischerei eine nachhaltige Perspektive erhalten müssen. Sie sind unverzichtbarer Teil des Rückgrats für die soziokulturelle Wirtschaft und eng mit Tradition und Brauchtum in ihren Heimatregionen verbunden. Die Historie der Fischerei ist ohne die handwerkliche Küstenfischerei nicht denkbar.

Leider ist in Mecklenburg-Vorpommern die Küstenfischerei fast vollkommen zum Erliegen gekommen, was mir nicht zuletzt auch mehrmals bei meinen Begegnungen und Gesprächen vor Ort an der Ostseeküste geschildert wurde. Nur noch die Verknüpfung mit touristischen Angeboten erhält oftmals die kleinen Betriebe am (Über)Leben - wie mir es auch Fischer Kai Dunkelmann aus Boltenhagen nachdrücklich erläuterte. Oder die Gespräche mit Küstenfischer*innen in Italien oder beispielweise auf dem Fischmarkt von Funchal auf Madeira machten deutlich, dass dort wie hier der Beruf zu einem der Schwersten zählt, schlecht bezahlt wird und von Jahr zu Jahr die Fangquotenregelung für kleine Fischer*innen zu einem immer größeren Problem wird. Die Folge sind Berufs- bzw. Geschäftsaufgabe und eben der zunehmende Trend, Fischerei nur noch im Nebenerwerb zu betreiben.

Die gemeinsame Fischereipolitik der Europäischen Union weiter zu präzisieren und neu auszurichten, ist daher ein richtiger und wichtiger Schritt, dieses Handwerk einerseits wieder zu stärken und andererseits zugleich die Erholung der Fischbestände und ökologische Kriterien, somit nachhaltige Produktion und Konsumtion, neu zu fassen.

Konkret will der Bericht:

  • eine Stärkung der Wertschöpfungskette und Vermarktungsstrategien fördern,
  • Möglichkeiten des Eingreifens, etwa durch Garantiepreise oder Gewinnhöchstraten ins Spiel bringen,
  • die Wahrung oder Schaffung von Herkunftsmärkten durch Förderung kurzer Vertriebswege für traditionelle Erzeugnisse stärken,
  • Förderprogramme für die handwerkliche Fischerei schaffen, um die Produktionskosten zu senken und deren wirtschaftliche Nachhaltigkeit sicher zu stellen,
  • Treibstoffsubventionen ermöglichen bzw. alternative Antriebsysteme auf Grundlage regenerativer Energien fördern und ermöglichen,
  • die Wiedereinführung der Unterstützung im Bereich der Lagerung, des Einfrierens und der Kühlung, damit die Branche die Fischereiressourcen in vollem Umfang nutzen kann, ohne die Bestände zu zerstören oder zu reduzieren,
  • die Einrichtung eines Lohnausgleichsfonds, mit dem alle Einkommensverluste ausgeglichen und die Zeiträume abgedeckt werden, in denen kein Fischfang erlaubt ist, sowie die Anerkennung dieser Zeiträume in Bezug auf die Altersrente und andere Sozialversicherungsansprüche als Erwerbszeiten.

Die Maßnahmen sollten niedrigen Verwaltungsaufwand, einfache Antragsverfahren, Änderung des Vorfinanzierungssystems und die Anhebung der Obergrenzen für die Finanzierung des Fonds nach sich ziehen.

Des Weiteren die Auflegung eines Programms zur Erneuerung, zum Ausbau, zur Modernisierung oder sogar zur Größenänderung der Flotte der handwerklichen Fischerei ermöglichen. Unter Berücksichtigung des hohen Durchschnittsalters der Flotte in diesem Segment, um die Sicherheit und die Lebensbedingungen an Bord von Schiffen zu verbessern, deren Energieeffizienz zu steigern, diese ökologisch nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der von ihr abhängigen Fischereigemeinschaften zu gewährleisten.

Ich bin gespannt, wie dieser Initiativbericht des Europäischen Parlaments seitens der EU-Kommission, aber auch der Mitgliedstaaten aufgenommen und in kürzester Zeit in entsprechende Neuregelungen überführt wird, um so wirksame Antworten durch konkrete Änderungen zu geben, damit sich die handwerkliche Fischerei erholen kann und zugleich die Bewahrung bzw. Wiederherstellung, so noch möglich, der maritimen Ökosysteme auf den Weg gebracht werden kann.

Internationale Grüne Woche vom 20. - 29. Januar

Am 20.01. werde ich am Empfang der Ministerpräsidentin und des Landwirtschaftsministers von Mecklenburg-Vorpommern auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin teilnehmen, der weltweit größten Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau.

Am 21.01. findet zur Grünen Woche die alljährliche Großdemo „Wir haben es satt!“ statt, in diesem Jahr unter dem Motto „Gutes Essen für alle – statt Profite für wenige!“. Demonstriert wird für eine gerechte Agrar- und Sozialpolitik, für artgerechte Tierhaltung, die Unterstützung für die Landwirt*innen beim klima- und artgerechten Umbau, eine Übergewinnsteuer auch für Agrar- und Lebensmittelkonzerne, ein Spekulationsverbot für Lebensmittel sowie für einen gerechten Handel.

Denn nicht nur die Inflation, sondern auch zunehmende Ernteausfälle auf Grund der Klimakatastrophe sorgen für steigende Lebensmittelpreise. In Deutschland haben immer mehr Menschen Probleme, ihre Ernährung zu finanzieren und auch weltweit wächst der Hunger. Währenddessen machen Agrar- und Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten Profit mit den steigenden Preisen, bzw. treiben die Preise in die Höhe. Genauso trägt die Spekulation mit Agrarrohstoffen wie etwa Mais und Weizen, beides Grundnahrungsmittel, zu weiteren Preiserhöhungen bei und befeuert die Krise. Und nicht zuletzt sorgt der leider noch immer andauernde Krieg in der Ukraine auch weiterhin für eine Verschärfung dieser strukturellen Problemlagen.

Diese Themen werden sicherlich auch bei der Grünen Woche breit und intensiv diskutiert. Wie hat sich die Neufassung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU diesbezüglich positiv oder erschwerend ausgewirkt. Sind neue, nachhaltige Strukturentwicklungen in der Agrarwirtschaft und der Entwicklung im ländlichen Raum überhaupt befördert und auf den Weg gebracht worden? Ist es sinnvoll, die Exportorientierung europäischer Agrarproduktion, so auch als verantwortungsbewussten Beitrag zur Ernährungssicherheit in der Welt für jeden Menschen ohne vorrangige Gewinnabsicht, zu beenden? Und wenn nicht, wie muss dann diese Orientierung und handelspolitische Dimension so ausgestaltet werden, dass lokale Produktion in Drittländern, gerade auf dem afrikanischen Kontinent nicht gefährdet und unterbunden, sondern im Gegenteil gestärkt werden kann, dass dort weiterverarbeitende Lebensmittelproduktion zur Absicherung lokaler und regionaler Eigenversorgung sozial und umweltgerecht aufgebaut werden kann. Und welche Produkte sollten gar nicht rund um den Globus, sondern nur vor Ort produziert, gehandelt und verbraucht werden - z. B. Milch und Molkereiprodukte. Und damit auch dazu beitragen, dass Landwirt*innen von ihrer Arbeit gut leben können, dass neue Höfe und landwirtschaftliche Produktionsformen in einer Kreislaufwirtschaft entstehen können.

Sicherlich ist es gerade deshalb wichtig, sich auf der Grünen Woche v. a. darüber zu verständigen wie wir unsere Ernährung regionaler und damit auch klimaneutraler gestalten können. Und auch darüber, welche Produkte - auf der Messe präsentiertes Obst und Gemüse oder andere Lebensmittel aus der gesamten Welt oder bestimmte Ausgangsstoffe oder Düngemittel - unter Beachtung sozialer und ökologischer Aspekte notwendigerweise importiert und verkauft werden sollten? DIE LINKE unterstützt die Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit, Tierwohl und Artenschutz, setzt sich für eine ganzheitliche Sichtweise auf unsere Ernährungsweise und damit die Ausformung unserer landwirtschaftlichen Produktion ein. Und wichtige Aspekte konnten wir auch bei der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie der EU im Rahmen der Fit for 55 Strategie durchaus einbringen. Ich bin neugierig, was wir also sehen und wie die Messe Antworten auf die Forderungen der Demonstrationen zu geben vermag. Und ob wir Europaparlamentarier*innen mit unseren Empfehlungen und Rahmengesetzgebungen auf dem richtigen Weg sind. Der Empfang Mecklenburg-Vorpommerns ist sicherlich eine gute und notwendige Gelegenheit diese Fragen zu thematisieren.

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