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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 100, 12. Mai 2023
Liebe Leser*innen,

nächste Woche ist es soweit: Vom 15. bis 17. Mai 2023 findet im Europäischen Parlament in Brüssel die „Beyond Growth 2023 Conference – Pathways towards Sustainable Prosperity in the EU“ als eine politikübergreifende Initiative statt, die 20 Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) aus fünf verschiedenen Fraktionen und Fraktionslose gemeinsam mit mehr als 60 Partnerorganisationen organisieren. Wie ich bereits in meinem letzten Newsletter geschrieben habe, werden zu den Teilnehmer*innen dieser 3-tägigen Konferenz hochrangige Redner*innen aus den Bereichen EU-Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften, Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft gehören. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, hat sich zur Übernahme der Schirmherrschaft bereit erklärt. Wie Sie wissen, gehöre ich zum Kreis der Initiator*innen der Konferenz und werde selbst das Panel zur Handelspolitik Trade for sustainable development: how to benchmark success? verantworten.

Mit der Konferenz - gut 50 Jahre nach dem ersten Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ – ist es uns wichtig, die konventionelle Politikgestaltung in der EU in Frage zu stellen und gesellschaftliche Ziele auf breiter Front neu zu definieren, weg von der schädlichen Fokussierung auf Wirtschaftswachstum als alleiniger Grundlage unseres gesellschaftlichen Entwicklungsmodells. Darauf haben wir am Mittwoch auch noch einmal in einem gemeinsamen Appell verwiesen, den Sie hier nachlesen können.

Natürlich haben wir als Abgeordnete verschiedener Fraktionen unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine Wirtschaft jenseits des Wachstums aussehen kann. Wir sind uns jedoch alle einig über die Dringlichkeit und die Bedeutung des vorliegenden Themas. Wir meinen, dass wir ein Wirtschaftssystem brauchen, das dem menschlichen Wohlergehen und der ökologischen Nachhaltigkeit Vorrang vor dem BIP-Wachstum einräumt, das erkennt, dass unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten unmöglich ist. Wir meinen, dass wir jetzt und in den nächsten Jahren unseres Jahrzehnts neue Wege finden müssen, unsere Volkswirtschaften zu organisieren, ohne uns auf die kontinuierliche Ausbeutung von Ressourcen und eine ständige Steigerung von Produktion und Konsum zu verlassen. 

Übrigens hatte ich 2009, zu Beginn meiner ersten Legislatur im Europa-Parlament, mein Verständnis für die so notwendige Umsetzung einer nachhaltigen Politik für die Menschen und die Umwelt und damit mein politisches Agieren im Internationalen Handelsausschuss auch mit der Warnung des Ökonomen Kenneth Boulding 1973 an die Abgeordneten des US-Kongresses umrissen: „Wer glaubt, ein exponentielles Wachstum könne in einer endlichen Welt unendlich weitergehen, ist entweder wahnsinnig oder Ökonom“.  Deshalb war ich bereits 2017 bei der ersten großen „Beyond Growth“ Konferenz im EP gerne pro-aktiver Mitstreiter, denn zweifellos verlangt der sozial-ökologische Umbau unserer Wirtschaftsweise konsequentes Neudenken und zweitens den demokratischen Diskurs, Transparenz und solidarisches Zusammengehen – im Interesse gerade unserer Kinder- und Enkel-Generationen.

Dazu gehört für mich wie für meine Kolleg*innen, mehr Pluralismus im ökonomischen Denken innerhalb der EU-Institutionen und seine Angleichung an die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Klima-, Ökologie- und Sozialwissenschaften zu realisieren. Wir fordern, dass Wirtschaftsmodelle und andere Instrumente zur Entscheidungsunterstützung vielfältiger, umfassender und transparent für alle Menschen in der EU und in Verantwortung für global Zusammenhänge die Bürgerinnen und Bürger sind. Politische wie wirtschaftliche Entscheidungsprozesse sind an unseren gemeinsamen politischen Zielen auszurichten und nicht auf der Grundlage der Variation der BIP-Zahlen. Als politische Entscheidungsträger*innen sehen wir uns in Verantwortung, bei der Suche nach neuen politischen Optionen Motor zu sein und zugleich demokratische und inklusive Zusammenarbeit mit vielen anderen Akteur*innen zu organisieren.

Mir ist auch wichtig zu betonen, dass die Diskussionen, die wir hier in Europa führen, ebenso in anderen Regionen der Erde stattfinden. Daher habe ich zu meinem Fokuspanel „Handel für nachhaltige Entwicklung“ ganz bewusst den Minister für Umwelt aus Neuseeland, James Shaw, eingeladen. Wir haben in dem Panel Melinda St. Louis, Direktorin der größten Verbraucherschutzorganisation der USA, ebenso als Gast wie Souad Aden-Osman, die Direktorin der Koalition für Dialog in Afrika. Die Diskussionen, die vor dem Hintergrund vielleicht noch akuterer Probleme in den verschiedenen Weltregionen ja ebenso stattfinden, müssen mit unseren Debatten vernetzt werden. In vielen Ländern des Globalen Südens geht es noch immer oder wieder verstärkt um das blanke Überleben und wir können und dürfen unsere Lebensentwürfe nicht zum Maßstab in Gesellschaften anderer Regionen machen. Wie solidarisch mit anderen Menschen in den Entwicklungsländern ist unsere „Just Transition“ hin zu Klimaneutralität? Eine darauf ausgerichtete Wirtschaftsstrategie, LNG für den hiesigen Eigenbedarf anderen Ländern an den Terminmärkten wegzukaufen, weil wir es uns „leisten“ können? Wie gerecht ist es, unseren Anspruch zum dringend notwendigen „Greening“ unserer Industriepolitik und der für die Digitalisierung notwendigen Importe durch Importe von Wasserstoff, Lithium und vielen anderen kritischen Mineralien, Seltenen Erden und vieler anderer Grundstoffe noch immer zu Lasten der Entwicklung in Drittländern zu organisieren. Die Frage, wie wir als Menschheit uns so organisieren, dass auch die junge Generation überall eine Lebensperspektive hat, müssen wir heute und gemeinsam klären.

Die "Beyond Growth Conference 2023" wird sicherlich von Teilnehmerzahl und konzentrierten inhaltlichen Angeboten her die größte Konferenz, die in dieser Legislaturperiode vom EU-Parlament organisiert wird. Über 4.000 Teilnehmer*innen haben sich bislang angemeldet. Wenn Sie „aus der Ferne“ an der Veranstaltung oder einzelnen Diskussionen teilnehmen möchten, ist dies online über die Konferenzwebseite möglich. Nähere Informationen zu meinem eigenen Panel auf der Konferenz finden Sie unten.

Übrigens: Dieser Newsletter ist die Nummer 100. Vielen Dank, dass Sie mir und meinem Team die Treue gehalten haben. Was für mich zugleich Ansporn ist, Sie auch künftig mit Informationen zur EU-Politik und linken Positionen dazu zu versorgen.

Ihr

Helmut Scholz

Dienstag, 14:30 - 16:30 Uhr: Handelspolitische Podiumsdiskussion im Rahmen der Beyond Growth Konferenz

„Handel für Nachhaltigkeit - neue Maßstäbe für Erfolg“

Mein Team organisiert die einzige Veranstaltung mit Schwerpunkt Handelspolitik in dieser großen Konferenz. Wir gehen davon aus, dass wir inzwischen alle überzeugt haben, dass auch die Handelspolitik die Nachhaltigkeit als Ziel haben muss. Dennoch beobachten wir, dass in Medien und Analysen letztlich doch immer nur auf die Wachstumszahlen des Bruttosozialproduktes oder des Handelsvolumens zurückgegriffen wird.

In dieser Debatte geht es daher um die Festlegung neuer Ziele für die Wirtschafts- und Handelspolitik. Ihr Erfolg sollte nicht mehr an der Steigerung des BSP gemessen werden, sondern an der Verringerung der Armut in der Welt, an ihrem Beitrag zur Bekämpfung der drohenden Klimakatastrophe, an ihrem Beitrag zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030, zu dem sich alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet haben. In dieser Veranstaltung werden neue Indikatoren einer erfolgreichen Handelspolitik für Politik, Management, akademischen Diskurs und Zivilgesellschaft diskutiert.

Ich freue mich sehr, dass wir dafür prominente Fachleute gewinnen konnten. Den Auftakt übernimmt Professor Olivier De Schutter, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für extreme Armut und Menschenrechte. Er hat bereits ein Buch zu unserem Thema veröffentlicht und wird uns auch daran erinnern können, dass der Großteil der Welt nicht im Überfluss lebt.

Für den zweiten Input konnten wir Jean-Marie Paugam gewinnen, einen der beiden stellvertretenden Generaldirektor*innen der WTO. Was viele nicht wissen: bei der Gründung der WTO vor 30 Jahren wurde in die Präambel geschrieben, dass eines ihrer zentralen Ziele das Erreichen von Nachhaltigkeit sei. Lange schien das wenig beachtet zu werden, bis unter anderem Pascal Lamy der WTO attestierte, dass sie in eine Legitimationskrise gerate, wenn sie nicht zu den Antworten auf die drängendsten Probleme der Menschheit beitragen könne. Wir dürfen gespannt sein, wie sich in der Führung der WTO der Diskussionsstand entwickelt hat.

Als Pendant zur WTO wird oft die UNCTAD wahrgenommen. Mit dieser Organisation wollten die Vereinten Nationen die Themen Handel und Entwicklung zusammenführen. Der neue stellvertretende Generalsekretär der UNCTAD, Pedro Manuel Moreno, wird uns zugeschaltet sein. Er kann uns von den Ergebnissen des gerade erst abgeschlossenen Weltforums der UNCTAD berichten, bei dem es um die Ermittlung von Handelspolitiken ging, die Ländern dabei helfen können, ihre Volkswirtschaften wachsen zu lassen und gleichzeitig drängende globale Herausforderungen zu bewältigen und den Fortschritt bei der Verwirklichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen.

Zum Abschluss des ersten Podiums wird Pamela Coke-Hamilton sprechen. Die Exekutivdirektorin des von der UNO ins Leben gerufenen International Trade Centre in Genf kennt die Fakten, die vielleicht erklären können, warum der Wohlstand auf der Welt heute nicht gerechter vom Handel verteilt worden ist, obwohl sich das Welt-BSP seit 1960 mehr als verzehnfacht hat.

Welche Maßstäbe für den Erfolg werden die vier Fachleute wohl vorschlagen?

Und wie werden ihre Vorschläge aufgenommen werden?

Das werden wir unmittelbar hören, wenn unsere Moderatorin Judith Kirton-Darling, die auch stellvertretende Generalsekretärin des größten Industriearbeitsgewerkschaftsverbundes industiAll Europe ist, um diese Bewertung bittet.

Die Generaldirektion Handel (DG TRADE) der EU-Kommission wird durch ihre Vize-Generaldirektorin Maria Martin-Prat antworten, für das Europaparlament und als Co-Organisator der Konferenz werde ich mich einbringen, für die Zivilgesellschaft wird sich die Co-Präsidentin des International Institute for Sustainable Development (IISD), Nathalie Bernasconi-Osterwalder zuschalten.

In der verbleibenden Zeit werden wir dann noch Wortmeldungen aus dem Saal und mittels der App Slido aufnehmen.

Die Perspektive der Weltorganisationen im ersten Podium werden wir in einer zweiten Runde durch Perspektiven aus verschiedenen Weltregionen ergänzen.

Der neue Botschafter Brasiliens bei der EU, Pedro Miguel da Costa e Silva, wird uns Einblicke in die Sichtweise Brasiliens geben können. Präsident Lula und seine Kollegen in den Nachbarländern haben zum Ausdruck gebracht, dass sie den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Europa neue Ambitionen verleihen wollen, indem eine Agenda „über den Handel hinaus“ vereinbart werden könnte. Es geht um eine Form der Kooperation, die den südamerikanischen Naturschutzgebieten und ihrer Bevölkerung hilft, an einer nachhaltigen Modernisierungs- und Industrialisierungswelle teilzunehmen. Woran würde der Botschafter also den Erfolg einer neuen Ära der Handelsbeziehungen mit anderen wichtigen Regionen der Welt messen?

Auch in Afrika herrscht eine gewisse Aufbruchsstimmung im Handelsbereich durch die Gründung des Afrikanischen kontinentalen Freihandelsgebietes AfCFTA. Souad Aden-Osman ist aus Addis Abeba vom Sitz der Afrikanischen Union nach Brüssel gereist, um an der gesamten Konferenz teilzunehmen und mit uns ihr Wissen um die neuen Ambitionen auf unserem Nachbarkontinent zu teilen.

Aus Europa wird die Belgierin Anaïs Berthier, eine der Anwältinnen aus der Organisation ClientEarth, darüber berichten, wie ihre Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit als Kriterium in der Handelspolitik bislang von den Entscheidungsträger*innen in der EU aufgenommen wurden. Bedeuten der Green Deal und neue Gesetzesinitiativen wie das Europäische Lieferkettengesetz, zu dem am 1. Juni im Parlament im Parlament beschlossen werden soll, dass es nun einen echten Meinungswandel gibt?

Als vierte Expertin spricht aus den USA Melinda St. Louis, Handelsexpertin der wichtigen zivilgesellschaftlichen Organisation Public Citizens. Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden hat eine sogenannte arbeiterzentrierte Handelspolitik eingeführt und scheint von der Unterzeichnung weiterer Freihandelsabkommen Abstand zu nehmen. Stattdessen konzentriert man sich auf Übereinkommen zur Akzeptanz amerikanischer Technologiestandards mit anderen Wirtschaftsregionen. Wie wird sie den Erfolg dieses politischen Wandels bewerten und welche Indikatoren wendet sie dafür an? Können andere auf der Welt von Nordamerika lernen?

Judith Kirton-Darling wird dann wieder Maria Martin-Prat, mir und Nathalie Bernasconi die Gelegenheit geben, die Empfehlungen zu reflektieren.

Auch Sie können diese hochkarätige Veranstaltung an ihrem Bildschirm verfolgen. Hier finden Sie den Link zur Live-Übertragung im Internet. Wir bieten Ihnen auch eine Simultanübersetzung ins Deutsche an. Übertragen wird die Veranstaltung gleichzeitig auch auf der Webseite des Europaparlaments und auf einem eigenen YouTube-Kanal. Bald nach der Konferenz werden auch die Videoaufnahmen aller Veranstaltungen verfügbar sein.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich bei dieser und anderen Veranstaltungen unserer Beyond Growth Konferenz 2023 zuschalten würden.

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