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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 104, 09. Juni 2023
Liebe Leser*innen,

eine spannende Woche mit den Studientagen in Malmö und Kopenhagen geht zu Ende. Als Fraktion konnten wir viele wichtige Punkte daraus mitnehmen - die Tagesordnung und Schwerpunkte hatte ich ausführlich in der letzten Woche hier umrissen. Es gilt jetzt die Erfahrungen und Informationen auf politischer Ebene anzugehen. Nicht zuletzt gerade nach dem „Sackgassen-EU-Kompromiss“ der Innenminister*innen der EU 27 am Freitag dieser Woche in Bezug auf eine wirklich gemeinschaftliche EU Asyl- und Migrationspolitik unter Wahrung der Menschenrechte, insbesondere des individuellen Rechts von Menschen auf Asyl, auf Grundlage des Völkerrechts und der Prinzipien internationaler Solidarität. Beeindruckend in Malmö war auch der Besuch eines Stadtteilprojekts, in dem sich vor allem junge Menschen um die tägliche Versorgung, Bildungs- und Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche aus sozial prekären Verhältnissen einsetzen. Auch im reichen Schweden ist eine zunehmende Zahl von Menschen vor Armut betroffen, vor allem Familien mit Migrationshintergrund. Und das Konzept dieses Vereins „Hela Malmö“, nur zum Teil von der Stadt unterstützt, basiert auf der einfachen Idee, diesen Kindern und Jugendlichen erst einmal drei Mahlzeiten am Tag zu garantieren - damit sie Kraft finden für das Entdecken und Ausleben ihrer individuellen Fähigkeiten - ob im Kultur- oder Kunstbereich, beim Sport, beim Lesen oder auch einfach nur mal ein Kino-Erlebnis zu haben. Und dabei auch Neugier und Fähigkeiten für mögliche Berufswahl und Erwerbsarbeit zu entwickeln. Der Verein intensiviert zudem seine überregionale Arbeit, versucht so seine Erfahrungen mit ähnlichen Initiativen in anderen EU-Mitgliedstaaten auszutauschen oder dorthin zu vermitteln.

Vom 12. bis 23. Juni 2023 wird über Deutschland das NATO–Luftwaffenmanöver "Air Defender 2023" stattfinden. Es ist das größte Luftwaffenmanöver seit Bestehen der NATO. Ich frage mich, vor allem aber die Bundesregierung, ist es wirklich unvermeidlich und richtig, dass die Logik des Militärischen die Debatte über Sicherheit und friedlichen Zusammenlebens bestimmt? Ja, der Krieg Russlands in der Ukraine zeigt die Unmenschlichkeit dieser Logik des Krieges auf dramatische Weise. Gerade die Zivilbevölkerung ist betroffen - und zugleich sterben Tag für Tag Hunderte Soldat*innen. Gesellschaften werden zerstört - unmittelbar physisch, aber auch langfristig vergiften Krieg und Zerstörungen das Gefüge menschlicher Zivilisation. Ich meine wir brauchen vor allem intensivste Kraftanstrengungen der Politik (und der Wirtschaft), um einen Ausstieg aus dieser Logik zu vollziehen. Ich will deshalb auch nicht, dass der Himmel über Brandenburg, über Mecklenburg-Vorpommern oder noch irgendwo anders auf der Welt erneut zum Kampfgebiet und zur Aufmarschzone wird! Deshalb ruft DIE LINKE am Sonntag, dem 11. Juni um 13 Uhr zur Friedenswanderung in der Freien Heide auf, diesem Symbol zivilgesellschaftlich getragener und „erzwungener“ erfolgreicher Konversionsarbeit. Ich werde gerne teilnehmen, denn wir brauchen angesichts des noch immer kein Ende nehmenden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und gleichzeitiger ausgeweiteter Aufrüstung und militärischer Drohpolitik im globalen Maßstab konstruktive Alternativen, um die Eskalationsspirale zu stoppen.

Noch ein Argument für die Notwendigkeit des unmittelbaren Umsteuerns internationaler Sicherheitspolitik: Der Krieg in der Ukraine, die Kriege anderswo – alle auch mit Waffen aus den Industriestaaten geführt und möglich gemacht (siehe die Auflistung der Rüstungsausgaben in Forschung, Produktion und auch Export des schwedischen SIPRI-Instituts vom April/Mai d. J.) – befeuern auf Grund des hohen CO2-Ausstoßes die Klimakatastrophe. Dass die Lage mehr als ernst ist, zeigt eine aktuelle Studie um den südkoreanischen Forscher Min Seung Ki von der Pohang-Universität für Wissenschaft und Technologie. Die Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die Arktis bereits ab den 2030er im Sommer eisfrei sein wird. Dies ist höchst alarmierend, da damit massive Auswirkungen auf menschliche Gesellschaften und Ökosysteme sowohl inner- als auch außerhalb der Arktis verbunden sind. Auch die diversen aktuellen Meldungen zu verheerenden Waldbränden weltweit (Kanada, Belgien, Brandenburg, …) zeigen, dass wir endlich radikalere Schritte beim sozial-ökologischen Umbau gehen müssen. Das verstehe ich als Friedens- und Sicherheitspolitische Aufgabe 2023 und muss in ihrer zweifellosen Komplexität zugleich Eingang in die europapolitischen Angebote im Europawahljahr 2024 finden. Was wird getan um den aktuellen Krieg in Europa und zugleich in Sudan, Jemen zu beenden und wie wird ein sicherheitspolitischer Narrativwechsel vollzogen, der die eigentliche Dimension dieser Herausforderungen ernsthaft zum Kern von Politik macht.

Auch im Bereich wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umstrukturierung muss viel mehr getan werden. Sich allein auf das Bekämpfen der unmittelbarsten Folgen aus dem Klimawandel zu beschränken, wie beispielsweise durch die Ende Mai von der Europäischen Union vorgenommene Verdoppelung ihrer Kapazitäten für die Brandbekämpfung aus der Luft, reicht nicht. In der EU ist da durchaus vieles Richtiges begonnen worden, aber in der Logik des Binnenmarktes allein verbleibt das auf halbem Wege, denn es wird sich nicht alles rechnen; wir brauchen 27-mal nationalstaatliche und zugleich gemeinschaftliche EU-Verantwortungsübernahme: Die EU ist auf dem richtigen Weg, muss aber viel ambitionierter nachlegen bei ihren bisher geplanten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität. Und vor allem: hier stehen die politischen Akteur*innen in der Pflicht, diesen unvermeidlichen, zugleich noch zu beschleunigenden Transformationsprozess sozial gerecht zu gestalten. Ängste vor Überforderung vieler Menschen sind real und berechtigt, die sind nicht wegzudiskutieren oder zu ignorieren bzw. zu bagatellisieren. Sie müssen das soziale Parameter für den industrie-, gesamtwirtschaftlichen und eben auch sicherheitspolitischen Umbau sein.

In der kommenden Woche wird es bei der Plenarsitzung unter anderem auch um die Wasserkrise in Europa gehen – Rat und Kommission werden unter diesem Tagesordnungspunkt speziell zur Wasserkontrolle und -bewirtschaftung, Verschmutzung der Wasserwege und Wasserverschmutzung berichten. Der Schutz der Gewässer und des Wassers in der EU ist essentiell, da dies die Lebensgrundlage von Menschen, Tieren und Umwelt ist. Mit der zunehmenden durch die Klimakatastrophe bedingte Trockenheit stehen unsere Gewässer unter enormen Druck (siehe Ostsee oder auch Oder) und der Grundwasserspiegel sinkt weiter. Ich bin gespannt auf den Bericht und welche Maßnahmen Rat und Kommission konkret ergreifen wollen. Nur Lippenbekenntnisse werden nicht reichen.

Weitere Tagesordnungspunkte werden unter anderem die „Künstliche Intelligenz“ und die „EU als Investitionsstandort“ sein - ebenso Bestandteil und notwendiger Eckpunkt für die angesprochenen Transformationsprozesse. Dazu gehört auch die Plenardebatte zum wirtschaftlichen Wiederaufbau in der Ukraine - auch mit Blick auf die beabsichtigte Aufnahme von Verhandlungen zum möglichen Beitritt. Auch die Überarbeitung des Gesetzes über die Europäische Bürgerinitiative ist auf unserer Agenda. Ich setze mich noch einmal mit Änderungsanträgen für den entschiedeneren Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten von Bürger*innen an EU-Politik ein. Ich erinnere hier daran, dass dies ein expliziter Wunsch der an der Zukunftskonferenz beteiligten EU-Bürger*innen war. Politik darf nicht abgekoppelt von Menschen agieren, sondern muss mit ihnen gemeinsam gestaltet werden.

Die Sitzung des Parlaments kann wie immer auch live mitverfolgt werden. Den Livestream sowie eine ausführliche Tagesordnung finden sie hier.  

 

Ihr

Helmut Scholz

12. Juni, Vorstellung und 14. Juni Abstimmung des Berichts zur Überarbeitung des Gesetzes zur Europäischen Bürgerinitiative (EBI)

Die EBI wurde konzipiert, um Bürger*innen mehr Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung der Europäischen Union zu geben, indem sie eine Möglichkeit bekommen, selbst Themen auf die Agenda zu setzen. Wie eine von meinem Büro vergangenes Jahr in Auftrag gegebene Studie jedoch feststellt, ist die Anzahl erfolgreicher EBIs und deren Auswirkung auf die Gesetzgebung nach über 10 Jahren äußerst gering. Der Bericht soll mögliche Verbesserungen aufzeigen.

Auch wenn gute Vorschläge – etwa zur Finanzierung oder einer erhöhten Wirkung und Sichtbarkeit – enthalten sind, werden längst bekannte Hürden für zivilgesellschaftliche Beteiligung nicht abgebaut. Ein großer Kraftaufwand in thematischer und organisatorischer Hinsicht ist für die Initiator*innen hinter den Bürgerinitiativen beispielsweise die Sammlung der notwendigen Unterschriften. Die Nutzung von eigenen Online-Sammelsystemen, die flexibel verbreitet und individuell gestaltet werden können, sind ein entscheidender Faktor für den Erfolg vergangener Initiativen gewesen. Im Rahmen der jetzigen Fassung wäre diese individuelle Nutzung jedoch nicht mehr möglich. Weitere Kritik - auch von uns - bezieht sich auf die mangelnde institutionelle Einbeziehung der Initiativen sowie die doch sehr unterbelichtete Nachbereitung erfolgreicher Bürgerinitiativen. Ich arbeite weiter daran, dass eines Tages auf jede erfolgreiche EBI auch ein legislativer Prozess folgen muss – sozusagen ein Initiativrecht für die Bürger*innen.

12. Juni, 19:00 Uhr: außerordentliche Beratung des Verfassungsausschusses (AFCO) & bereits 15. Juni: 11:00 bis 13:00 Uhr Vorstellung und Abstimmung des legislativen Initiativberichts zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments 2024- 2029

Dieser zeitliche Fahrplan zu einer der wenigen dem Parlament vorbehaltenen Gesetzesinitiativen macht eine Dringlichkeit deutlich: Da die nächsten Wahlen praktisch immer näher rücken, wird ein Bericht zur Komposition des Europäischen Parlaments abgestimmt, der das System der Sitzverteilung festlegen und die anstehende Wahl somit auf juristisch festen Boden stellen soll. Die Mitgliedstaaten brauchen spätestens ein Jahr vor den Wahlen den rechtskräftigen Gesetzestext beider Ko-Gesetzgeber - also Parlament und Rat - um diesen dann auf der jeweiligen nationalen Ebene praktisch noch umzusetzen. Damit steht auch die Diskussion um die Europäische Wahlrechtsreform auf der Tagesordnung, die bislang seit einem Jahr durch den EU-Rat blockiert ist. Das Parlament hatte sich bekanntlich mit Mehrheit für die zusätzliche Einrichtung eines transnationalen Wahlkreises und einer transnationalen Liste von zu wählenden Europa-Abgeordneten ausgesprochen. Das aber ist vielen Mitgliedstaaten, aber auch konservativen und v. a. rechts-populistischen Europaparlamentarier*innen ein Dorn im Auge.

Übrigens: Erst vor kurzem stand ein Bericht zur Europawahlrechtsreform aus der letzten Legislaturperiode (also aus dem Jahr 2018), den wir als DIE LINKE schon damals und natürlich auch jetzt in einem wichtigen Punkt sehr kritisch sehen, auf der Tagesordnung des Bundesrates. Nach Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten (neben Deutschland fehlt nur noch Spanien) würde in Deutschland mit dieser Anpassung eine Sperrklausel zwischen 2% und 5% wieder eingeführt werden, die in Bezug auf Europawahlen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichte 2014 abgeschafft worden war. Wir lehnen eine solche Sperrklausel ab, auch mit Blick auf weitere Diskussionen zu der gegenwärtigen neuen Europawahlrechtsreform. Der Bundesrat hat das 2018er Gesetz mehrheitlich ratifiziert.

13. Juni: Ethikgremium

Medial besonders relevant dürfte die Diskussion um den von der Kommission in der vergangenen Woche vorgelegten Vorschlag für die Einrichtung eines EU-Ethikgremiums sein. Die Kommission veröffentlichte diesen als Teil des bis Herbst angekündigten umfangreichen „Democracy Package“ mit der Einführung gemeinsamer Ethikstandards für alle EU-Institutionen. Eine grundsätzlich notwendige und seit langem vom Europarlament, dem Verfassungsausschuss und auch unserer Linksfraktion geforderte Initiative. Leider bleibt der nun bekannt gewordene Vorschlag doch deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Die Kommission möchte dem neu schaffenden Gremium nur die folgenden drei Aufgabenbereiche zuweisen:

  • Entwicklung gemeinsamer Mindeststandards, die für alle Vertragsparteien und ihre Mitglieder gelten, und bei Bedarf Einleitung ihrer Überprüfung
  • Meinungsaustausch auf der Grundlage der von einer Vertragspartei vorgenommenen Angleichung ihrer eigenen internen Regeln an diese Standards zu führen
  • Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Institutionen im Zusammenhang mit Ethikstandards

All diese Punkte sind selbstverständlich Schritte in die absolut richtige Richtung. Auf den ersten Blick wird der größte Vorteil eines Ethikgremiums meiner Ansicht nach jedoch noch nicht genügend ausgespielt: Seine Unabhängigkeit von jeweiligen internen politischen Entwicklungen. Die Tatsache, dass Mitarbeiter*innen das Gremium als „externe“ Institution wahrnehmen, würde es erlauben, interne Unklarheiten – beispielsweise zu potenziellen Interessenskonflikten eines Abgeordneten – von einer Institution prüfen zu lassen, die eine weitaus geringere politische Abhängigkeit besitzt, als es die jetzigen internen Gremien tun. Wir werden uns noch detailreicher mit dem Entwurf der Kommission beschäftigen und dafür einsetzen, dass das Gremium sein größtmögliches Potenzial entfalten kann.

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