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70. Jahrestag der Bodenreform

04.09.2015

Auf den Tag genau vor 70 Jahren verkündete der KPD-Politiker Wilhelm Pieck in Kyritz die »demokratische Bodenreform«. In der Folge wurden Großgrundbesitzer, Nazis und Großbauern mit mehr als 100 Hektar Landeigentum enteignet zugunsten von Landarbeitern, Flüchtlingen und Kleinbauern. Das nahm die LINKE am Mittwochabend zum Anlass für eine Veranstaltung im Kyritzer Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasium.
In der ersten Reihe saß die 94-jährige Vera Thiering. Sie arbeitete vor 70 Jahren bei diesem denkwürdigen und folgenreichen Ereignis als Protokollantin. »Ich hatte damals gar nicht gewusst, wer Wilhelm Pieck war. Und meine einzige Sorge war, dass dabei nicht so schnell gesprochen wird«, erzählte sie unter großer Anteilnahme der rund 80 Veranstaltungsteilnehmer. Dann schilderte Thiering, wie angesichts der vielen Umsiedler und der verlassenen Landgüter die Bodenreform Menschen eine Perspektive gab und für die Ernährung sorgte.
Entgegen der aktuellen Darstellung der Bodenreform in den meisten Medien, wo die Perspektive der enteigneten Großgrundbesitzer dominiere, herrscht in der historischen Wissenschaft weitgehend Konsens darüber, dass die Bodenreform auf alliiertem Recht fußte und ein Akt der Demokratisierung war, sagte Professor Siegfried Kuntsche. Auch wenn inzwischen klar sei, dass das »Rahmengesetz für die Bodenreform aus Moskau stammte«, sei die These widerlegt, die Reform sei mit dem Spätziel der »Kolchosenbildung« durchgesetzt worden.
Der Agrarökonom Wolfgang Jahn schilderte, wie nach 1990 der vormals in staatlicher Hand befindliche Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der DDR in vorwiegend westdeutsche und ausländische Hände geriet.
Angesichts der bestürzenden Tatsache, dass gegenwärtig das Land in immer größerem Umfang »meistbietend verkauft« werde, »gehört der Boden eigentlich in gesellschaftliche Hand«, sagte die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann. Die Bodenreform habe seinerzeit korrigiert, was auf dem ostdeutschen Land vorher »schief gelaufen« sei. »Heute läuft es wieder schief.« Und man möge sich nichts vormachen: »Was wir hier diskutieren, ist eine Machtfrage.«
Die Bodenreform hat zurückgedreht, was in den Jahrhunderten zuvor an rechtswidriger Aneignung durch die Grundbesitzer erfolgt war, sagte der Europaparlamentarier Helmut Scholz. Die heutige Preisentwicklung für Ackerland sei alarmierend: »Der Acker bleibt, das Geld verfällt.«
Die Landtagsabgeordnete Anke Schwarzenberg nannte die heutigen »Preise zu hoch, um sie später zu erwirtschaften«. Das bestätigte Dietrich Carls von der Agrargenossenschaft Karstädt. Ihm zufolge war der Hektar Ackerland Anfang der 1990er Jahre für 3500 D-Mark zu haben, heute koste er 15 000 Euro. Ob eine Bodenreform nach den Maßgaben der sowjetischen Besatzungszone heute eine Lösung für die Probleme in der Landwirtschaft wäre, lautete eine Frage. Das Podium war sich darin einig, dass für einen solchen Schritt im heutigen Europa alle Voraussetzungen fehlen und auch demnächst fehlen werden. Und doch: »In Schottland, wo inzwischen aller Boden 400 Familien gehört, treten solche Fragen wieder in den Vordergrund«, sagte Tackmann. In Ecuador bekomme nur derjenige Bauer Land, der sich zur Mitarbeit in einer Kooperative verpflichte, wo Technik effektiv eingesetzt werden könne.
An der Veranstaltung im Kyritzer Schulgebäude nahm kein Schüler teil. Die Gymnasiasten waren an diesem Tage laut Veranstaltungsplan von ihren Lehrern verpflichtet worden, im örtlichen Kulturhaus die Darstellung von Reiner Potratz aus dem Büro der Stasi-Landesbeauftragten entgegenzunehmen – unter der Überschrift »Sowjetische Vorgaben und Motive für die Bodenreform«. Die LINKE hatte am Kyritzer Bodenreformdenkmal Kränze niedergelegt. Einige Stunden später hielt die evangelische Generalsuperintendentin Heilgard Asmus dort einen Gottesdienst ab.

Wilfried Neiße

http://www.neues-deutschland.de/artikel/983383.vera-thiering-fuehrte-das-protokoll.html?sstr=Bodenreform

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