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Flucht aus der Ungerechtigkeit

22.06.2016

Die Architektur der Weltwirtschaft und des Welthandels ist einer der Hauptgründe für die gegenwärtige Migrationsbewegung

Zu den zentralen Ursachen der sogenannten Flüchtlingskrise gehören zweifelsohne die katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in jenen Staaten, aus denen sich Frauen, Männer und Kinder nach wie vor auf den oft lebensgefährlichen Weg nach Europa machen. Fragt man Geflüchtete nach den Gründen, weshalb sie ihre Heimat verlassen, stehen neben Krieg und Vertreibung die Not und die Unmöglichkeit, das eigene Überleben und das der Angehörigen zu sichern, mit an vorderster Stelle. Armut und daraus resultierende Verteilungskämpfe sind wiederum selbst Quellen gewaltsamer Konflikte – ein verheerender Kreislauf.

Es gehört zu den Perversionen, dass sich die westlichen Staaten – nicht zuletzt die Mitgliedsstaaten der EU – durch den Ausbau der „Festung Europa“ aus ihrer Verantwortung für die Situation in einem Großteil der Entwicklungsländer stehlen. Denn es sind gerade die Länder des Nordens und des Westens sowie die dort angesiedelten Konzerne, die von der existierenden Weltwitschafts- und Welthandelsarchitektur profitieren: Die „Dritte Welt“ wird als Lieferant von Rohstoffen missbraucht, die unter menschenverachtenden und umweltzerstörenden Bedingungen abgebaut werden, Menschenrechte und ILO-Kernarbeitsnormen werden in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen ebenso ignoriert wie der Aufbau regionaler Kooperationsstrukturen, zugleich wird der Markt der Entwicklungsländer mit subventionierten Waren überschwemmt.

Schaut man sich die Entwicklung im Welthandel an, soll sich nach Meinung der wirtschaftlich starken Blöcke und Staaten an dieser „Arbeitsteilung“ nichts ändern. Nehmen wir dafür nur ein Beispiel: die sogenannten Freihandelsabkommen. Treibende Kräfte dabei sind die alten Wirtschaftsmächte EU und USA. Diese schließen zunehmend bilaterale Handels- und Investitionsabkommen mit verschiedenen Partnern ab, die weit über den WTO-Rahmen hinaus gehen und eine „Liberalisierung“ des Handels vorsehen. Sie zielen auf den Marktzugang bei Waren und Dienstleistungen, auf die öffentlichen Beschaffungsmärkte und die Regulierungen von Qualitätsnormen wie auch auf den Schutz von geistigen Eigentumsrechten. Seit Inkrafttreten des Lissabonner EU-Vertrages ist der Abschluss solcher Abkommen alleinige EU-Kompetenz.

Die Folgen solcher Abkommen sind nicht nur für die Menschen in den beteiligten Vertragsseiten, sondern auch für die Entwicklungsländer immens. Allein für das derzeit verhandelte Freihandelsabkommens TTIP lassen mikroökonomische Analysen (u.a. ifo Institut) zunächst negative Realeinkommensverluste für 42 bis 80 Prozent der „Drittländern“ erwarten. Die angestrebte Senkung von Zöllen für den Handel zwischen USA und EU würden die Produkte aus dem Globalen Süden teurer, also weniger konkurrenzfähig. Damit werden sie auf dem EU- oder US-Markt dramatisch an Marktanteilen verlieren. Gerade die Länder in Nord- und Westafrika, die traditionell intensiv mit Europa handeln, wären betroffen. Und dies sind genau jene Staaten, aus denen bereits heute ein Großteil der Migrantinnen und Migranten kommen, die sich ein Leben in Europa aufbauen wollen. Alternativen, um die drohenden Verluste auf dem europäischen Markt zu kompensieren, gibt es kaum. Betroffen wären aber auch wieder einmal die Ärmsten der Armen: Laut einem Gutachten der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (Wien) werden die Exporte der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) in die EU durch TTIP wahrscheinlich zurückgehen, das reale BDP der LDCs würde um bis zu 3 % verringert. Dabei hat sich die EU doch offiziell verpflichtet, die Armut in LDCs abzuschaffen!

Solche „nackten Zahlen“ sind jedoch nur eine negative Konsequenz für die Entwicklungsländer. Denn TTIP soll als Vorlage für den weiteren Umbau der globalen Handelsbeziehungen dienen. So soll mit TTIP und den analogen Abkommen ein Klageverfahren für Unternehmen gegen Staaten eingeführt werden, wenn die Konzerne ihre Profiterwartungen, beispielsweise durch Bestimmungen zum Umwelt- und Arbeitsschutz, nicht gesichert sehen. Was dies für die Staatskassen in der „Dritten Welt“ bedeutet, ist absehbar. Zudem ist ein Protokoll über gemeinsames Vorgehen bei der Sicherstellung des Zugangs zu Rohstoffreserven in aller Welt geplant. Manche sprechen deshalb auch von einer „Wirtschafts-NATO“.

Angesichts der Versuche, die existierende ungerechte Weltwirtschafts- und Handelsbeziehungen zu erhalten und sogar noch stärker zu Gunsten der „Großen“ umzubauen, sind insbesondere wir als Linke gefordert, alternative Konzepte anzuschieben. Wir brauchen internationale Bedingungen, die den Rahmen für zeitgemäße Freihandelsverträge geben müssen. Wir brauchen ein neues Koordinatensystem, das das Bestehende einer kritischen Analyse unterzieht, es weiterentwickelt und neue Inhalte hinzufügt. Nur so lassen sich die globalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen so verändern, dass sie den Menschen nutzen – und nicht Konzernen und Banken.

 

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