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Drei Fragen – drei Antworten: zum Wahlrecht für das Europäische Parlament

02.07.2018

F.: In dieser Woche stimmt das Europäische Parlament über eine Reform des EU-Wahlrechts ab – knapp ein Jahr vor den nächsten Europawahlen. Ist das zu früh oder zu spät?

A.: Es ist deutlich zu spät. Denn die neuen Regelungen müssen ja auch noch fristgerecht in die jeweilige nationale Wahlgesetzgebung überführt werden. Allerdings wurde der Vorschlag des Europäischen Parlaments zur Wahlrechtsreform seit 2015 vom Rat der EU, in dem die Vertreter der Regierungen zusammensitzen, komplett blockiert. In diesem Vorschlag ging es unter anderem um die Frage der "europäischen Listen", auf der Kandidat*innen länderübergreifend antreten können, um Spitzenkandidat*innen der Europäischen Parteien, um diesen auch „ein Gesicht“ zu geben, um Geschlechtergerechtigkeit oder die Sichtbarkeit der Zugehörigkeit von nationalen Parteien zu Europäischen Politischen Parteien, beispielsweise über Namen und Logos.

F.:Nun hat der Rat der Mitgliedstaaten eine Änderung des Europäischen
Wahlrechts bereits beschlossen. Sind Sie damit zufrieden?

A.: Wenn man meint, die Ratsvorlage sei inhaltlich dünn, wäre das wohl extrem nahe an Lobhudelei. Denn praktisch haben die Regierungsvertreter*innen von den Vorschlägen des EU-Parlaments kaum etwas übrig gelassen. Während das Parlament den Ansatz gewählt hatte, Ansätze und Normen einer Wahlrechtsreform vorzugeben, die die Mitgliedsstaaten umsetzen sollten, folgte das Ratsdokument leider dem umgekehrten Ansatz. Ausgangspunkt ist der Ist-Zustand des jeweiligen Verfassungsrahmens des jeweiligen Staates und man räumt im besten Falle den Mitgliedern die Möglichkeit ein, anders zu agieren. Mit einer wirklichen Reform hat das nichts zu tun. Der längst überfällige Schritt in Richtung einer wirklichen transparenten und alle EU- Bürger*Innen einladenden europäischen Wahlgesetzgebung ist wieder vertan worden. Aus Angst vor jeweiligen Machtverlusten politischer Parteien auf nationaler Ebene, die aber eh im Rat die EU-Politik dominant bestimmen. Die Bürger*Innevertretung in der EU, das Europäische Parlament, soll nicht stärker befähigt werden gemeinschaftliche Lösungsansätze gegenüber einzelnen Mitgliedstaaten gesetzgeberisch zu formulieren. Gleich ganz aus dem Ratsdokument sind die Forderungen nach Spitzenkandidaten der Europäischen Politischen Parteien für den Kommissionsvorsitz, die Einrichtung eines einzigen Wahlkreises EU im Kontext mit der Wahl für paneuropäische Listen, die von den Spitzenkandidaten angeführt werden sollen, und die Verbindlichkeit eines demokratischen Vorgehens und der Transparenz bei der Bestimmung der jeweiligen Wahllisten herausgefallen. Auch die Geschlechtergerechtigkeit bezüglich der Zusammensetzung von Wahllisten hat ebenso keinen Eingang in das Ratsdokument gefunden wie der gesamte vorgeschlagene Paragraph 6, der die Unabhängigkeit des Mandates der Europaabgeordneten bei Abstimmungen bekräftigte. Das widerspricht natürlich jeglichen demokratischen Grundsätzen. Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen.

F.: Ging es bei dem Ratsdokument auch um die Prozenthürden bei den Europawahlen?

A.: Die Hürde ist in einer leicht modifizierten Variante enthalten. Es wird der alte Ansatz bekräftigt, dass die Mitgliedsstaaten national eine Hürde festlegen können, die nicht größer als fünf Prozent sein sollte. Dieser Ansatz wird jetzt ergänzt um die verbindliche Regelung, dass die Mitgliedsländer, die ein Listenwahlrecht haben und zugleich Wahlkreise, in denen mehr als 35 Abgeordnete gewählt werden, eine Hürde einführen müssen. Diese Hürde soll nach Beschlusslage des EU-Rates nicht kleiner als zwei und nicht höher als fünf Prozent sein. Letztlich geht es nicht um die „technischen Details“ dieser Hürde, sondern es ist offensichtlich, dass die EU und das Europawahlrecht für parteipolitisches Kalkül instrumentalisiert werden sollen. Es war vor allem Deutschland, das auf eine Hürde gedrängt hatte. Wie auch im EP deutsche Abgeordnete von CDU/CSU und SPD. Im Februar 2014, kurz vor der letzten Europawahl, hatte das Bundesverfassungsgericht die Sperrklausel für die Wahl zum Europaparlament gekippt; auch die LINKE hatte diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt. Bekannt ist, dass sich gerade Union und SPD von einer angestrebten 2-Prozent-Hürde in der Bundesrepublik versprechen, zwar noch CSU-Abgeordnete „nach Europa“ zu bringen, die Vertreter*innen kleinerer Parteien aber außen vor zu lassen. Der Einzug der AfD in den Bundestag und die damit einhergehende Veränderung der Parteienlandschaft auch in Deutschland macht doch erst recht so demokratisch wie mögliche Zugänge zur Willensbildung auch in der repräsentativen Demokratie notwendig. Ich finde, dass jetzt im EU-Ratsdokument “von oben” definierte Ansinnen widerspricht der Europäischen Idee und erweist der von nahezu allen Parteien erhobenen Forderung nach mehr Demokratie in Europa einen Bärendienst.

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